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Archiv-Artikel

Bildung als Luxusgut

betr.: „Grüne finden Unigebühren immer toller“, taz vom 5. 8. 04

Im Grunde ist die Einführung von Studiengebühren ein Rückschritt in die 50er-Jahre. Da gab’s das auch schon und hieß „Hörergelder“. Heute heißt Raider Twix und die Studiengebühr Studienkonto. Das Ergebnis ist dasselbe: Die Studierenden sollen ein ökonomisches Verhältnis zur eigenen Ausbildung und zur eigenen Verwertbarkeit entwickeln. So sind die Studiengebühren ein großes neoliberales Umerziehungsprogramm für die heutige Studierendengeneration, gefördert ausgerechnet von Teilen der Partei der 68er. Schade eigentlich. Humboldt wäre heute beim „abs“.

WILHELM ACHELPÖHLER, Münster

betr.: „Sparen wir uns den Praxisschock“ u. a., taz vom 6. 8. 04

Schwerreich? Das ist mal wieder eine klassische Fehlinterpretation: Der/die/das AutorIn wirft mit Beträgen zum monatlichen Einkommen europäischer Studierender um sich, ohne die Lebensumstände zu berücksichtigen. Dieselbe Studie (www.his.de/eurostudent ) sagt übrigens aus, dass die ach so reichen deutschen Studierenden einen nicht unerheblichen Teil ihres Einkommens für Mietzahlungen verwenden und einen nicht unerheblichen Teil ihrer Zeit fürs Arbeiten statt Studierenden. Der ach so arme Italiener, der in Ihrem Beitrag herbeizitiert wird, wohnt hingegen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu Hause bei Mama (das tun nämlich mehr als 2/3 der italienischen Studenten, steht auch in der Studie) und verfügt über sagenhafte 345 Euro Taschengeld.

Bevor man also mit solchen Zahlen hantiert und argumentiert deutsche Studierende könnten ja locker Studiengebühren aufbringen, sollte man gucken, über wie viel Geld die Leute tatsächlich frei verfügen können, weil es zur Deckung der unmittelbaren Lebenshaltungskosten nicht benötigt wird.

NADINE KLAGES-CONTI, Hannover

Wenn ich in eurer von mir hoch geschätzten Zeitung einen Artikel finde, der die Frage nach dem Bildungsauftrag der Universitäten in einer demokratischen Gesellschaft auf die Einführung von Studiengebühren reduziert, dann erfüllt mich das mit tiefer Trauer. Mehrfach wurde in Eurem Artikel auch der Chef des CHE von der Bertelsmannstiftung (Müller-Böling) als Autorität und Sachverständiger zitiert. Verzeiht bitte diesen Einwand, aber das ist ja fast so, als würde man in einem Artikel über Atomkraft die von Siemens gesponserten Experten als Sachverständige zitieren.

Es zeugt zudem von einer gewissen Naivität anzunehmen, dass es sich bei der Frage um Studiengebühren lediglich um die 500 bis 1.000 Euro handelt, die derzeit in der Diskussion sind. Die heute geforderten 500 bis 1.000 Euro sind doch lediglich ein Türöffner, um die Akzeptanz für Studiengebühren zu schaffen, um letztlich Bildung von einem öffentlichen Gut in ein privates umzudefinieren. Das Ziel, das zum Beispiel von der Bertelsmannstiftung langfristig angestrebt wird, ist kein geringeres als die Privatisierung der Universitäten. Es geht darum, dass in den nächsten 20 Jahren Bildungskonzerne entstehen sollen, die es in Australien und den USA auch schon gibt. Bildung wird dann eine Investition sein, die man an sich selbst vornimmt. […] Die Universitäten sind Schlüsselinstanzen dieser Gesellschaft. Wer die Universitäten in seinem Sinne ändern kann, der bestimmt zu einem entscheidenden Teil die Vergesellschaftung der Menschen und damit die zukünftige Gesellschaft. Wenn ihr hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik dem Neoliberalismus kritisch gegenübersteht, könnt Ihr Euch doch hinsichtlich der Hochschulpolitik nicht zu seinem Lautsprecher machen. HAUKE RITZ, Berlin

Ihre Argumentation ist ja schön und gut. Allerdings die derzeitige Benachteiligung von Arbeiterkindern als Argument für Studiengebühren anzuführen ist denkbar falsch. Wenn es in Deutschland eine Hungersnot gäbe, könnte man Nahrungsmittel ja auch nicht noch teurer machen, damit wenigstens die Besserverdienden ordentlich dafür bezahlen müssen, die Armen ließe man dann aber verhungern. Genau das ist der Effekt, den Studiengebühren hätten, sie ließen die Bildung zu einem Luxusgut werden und würden Kindern aus sozial schwachen Familien die Nahrung des Gehirns verwehren. Es muss also weiter das Ziel sein, auch von hoher Bildung scheinbar ausgeschlossenen sozialen Schichten den Zugang zu den Universitäten zu gewähren. Dass die Tatsache bekannt ist, dass sich Eliten selbst reproduzieren, ändert daran nichts. Es macht nur deutlich, dass die Bildungspolitik hier noch eine Menge Arbeit zu leisten hat.

TOBIAS NEHREN,

Co-Referent Hochschulpolitik der Uni Osnabrück

Wenn Sie feststellen, dass nur 11 Prozent der „Unterklassekids“ den Weg in die Hochschulen finden ist doch eines klar: Der Prozentsatz derjenigen, die ein Abitur benötigen, ist demnach ungefähr genauso groß. Daraus folgt sogleich der Schluss, dass auch an deutschen Gymnasien wieder Schulgeld gezahlt werden muss. Wenn nur 11 Prozent der „Unterklassekids“ überhaupt ein Abitur brauchen, kann dies wohl nicht rechtfertigen, dass weitaus mehr von ihnen auf dem Gymnasium wichtige Ressourcen verbrauchen. […] Das Gesellschaftsbild, das dieser Vorstellung zu Grunde liegt, möchte ich hier nicht weiter ausführen.

Reproduktion der Bildungselite sei heute Tatsache, führt der Autor als Begründung für Studiengebühren an. Aber kann dies das Ziel unserer Gesellschaft sein? Wollen wir auf dem schwierigen Weg in eine Informationsgesellschaft einen Großteil unserer Gesellschaft abkoppeln und sie auf dem Abstellgleis parken, bis Hartz IV sie in die Armut getrieben hat? Ich finde, dass dies keine Perspektive für die Zukunft unserer Gesellschaft sein kann. Entsprechende Resultate sehen wir in den USA nur zuhauf. Klaffende Lücken zwischen Arm und Reich manifestieren sich dort seit längerem. […]

Am Ende ihres Artikels bestätigen sie, dass Studiengebühren nicht zu einer Verbesserung der Qualität an den Hochschulen führen werden: Ihre Verwendung ist abhängig von den politischen Rahmenbedingungen. […] Und wenn wir wirklich wollen, dass die reichen Eltern das leisten, was ihrem Einkommen entspricht, und eine Umverteilung von oben nach unten stattfindet, dann sollten wir das Instrument benutzen, das genau für diesen Zweck geschaffen wurde: die progressive Einkommenssteuer. MARCO HENNIGS, Aachen

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