Ein Überzeugungstäter räumt auf

Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) will sozialtherapeutische Haftanstalten der Hansestadt schließen. Fachleute befürchten, dass Sexualstraftäter künftig ohne ausreichende Behandlung entlassen werden. Knackis kämpfen für ihre Anstalt

AUS HAMBURG MARCO CARINI

Den Gefangenen wurde verkündet, dass ihre Anstalt dichtgemacht wird – und einige brachen in Tränen aus. Sofort organisierten sie gemeinsam mit dem Gefängnispersonal den Widerstand gegen die Schließung. Und boten an, Cornflakes und Nuss-Nougat-Creme von ihrem kargen Knastlohn selbst zu bezahlen.

Dieses Szenario spielt sich derzeit in der sozialtherapeutischen Haftanstalt Altengamme, Hamburg, ab. Hamburgs Justizsenator Roger Kusch (CDU) hat angekündigt, die Altengammer Anstalt, ihr Pendant in Bergedorf und eine Gefangenenübergangseinrichtung in Altona zum Jahresende zu schließen, um 700.000 Euro einzusparen. Die Einrichtungen sollen den großen Gefängnissen, Fuhlsbüttel etwa, angegliedert werden.

Mit der geplanten Schließung droht einem Erfolgsmodell des liberalisierten Strafvollzugs das Aus. „In den sozialtherapeutischen Anstalten werden besonders schwere Fälle wie Sexualstraftäter mit einem sorgfältigen Therapiekonzept auf das Leben in Freiheit vorbereitet“, weiß der Hamburger Kriminologe Klaus Sessar. „Die statistisch belegten, außergewöhlich niedrigen Rückfallquoten der Entlassenen belegen eindrucksvoll den Erfolg dieses Konzepts“, ergänzt der Experte. Wer die Anstalten dichtmache, „riskiert für die Zukunft mehr schwere Straftaten und damit weniger Opferschutz.“

Sessar bezweifelt zudem, dass ein Euro eingespart wird: „Es wird so getan, als hätten die 150 hier Inhaftierten in Zukunft keine Unterbringung und Therapie mehr nötig. Die Sozialtherapie lässt sich aber nur mit immensen Kosten verlegen und ist in geschlossenen Gefängnissen so gut wie nicht zu realisieren“, erklärt der Kriminologe.

Laut Strafvollzugsgesetz müssen die Bundesländer selbstständige sozialtherapeutische Anstalten räumlich von anderen Knästen trennen – die letzten Schritte in die Freiheit sollen möglichst fernab vom Normalvollzug geschehen. Doch Kusch nutzt eine Ausnahmeregel für Notfälle. „Es geht hier nicht um Geld, das ist eine politische Entscheidung“, weiß der Leiter des Hamburger Strafvollzugsamtes, Johannes Düwel.

Eine Entscheidung, die ins Bild passt. In den fast vier Jahren, die Roger Kusch (CDU) die Hamburger Justizbehörde führt, krempelte er den Strafvollzug vollständig um: Liberale Gefängnisdirektoren wurden durch linientreue Hardliner ersetzt. Die Zahl der Plätze im offenen Vollzug wurde halbiert, Haftlockerungen wurden zusammengestrichen. Der neue Vorzeigeknast Billwerder wurde von einer offenen in eine geschlossene Anstalt umkonzipiert. Mauern statt Menschen, heißt Kuschs Devise.

Für den justizpolitischen Sprecher der Hamburger Grünen, Till Steffen, wäre eine Schließung aber der „bisher gravierendste Schritt Kuschs beim Umbau des Strafvollzugs“. Für den Justizsenator zähle „nur das Wegsperren“. Steffen: „Langfristige Auswirkungen sind diesem Mann egal; er bekämpft alles, was Verständnis für die Gefangenen zeigt, unabhängig davon, ob es erfolgreich ist oder nicht.“ Auch der Chef des Landesverbandes der Strafvollzugsbediensteten, Klaus Neuenhüsgens, wirft dem Senator vor, aus ideologischen Gründen und „wider besseres Wissen“ zu handeln.

Womöglich aber handelt Kusch nur ohne vertieftes Wissen. Während er vor zwei Jahren „im Interesse der Modernisierung des Hamburger Strafvollzuges“ ein weltweit berüchtigtes Gefängnis in Phoenix, Arizona, besuchte, wo Gefangene in Ketten arbeiten, hatte er für eine andere Visite bislang keine Zeit. Die jetzt bedrohte Altengammer Anstalt hat der Senator bis heute nicht besucht.