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Archiv-Artikel

Der schlimme Film

Aufzeichnungen eines unverschämten Interessenten für Nazipropaganda

Unlängst entdeckte ich im Bestandskatalog der größten deutschen Stadtbücherei, der Berliner Amerika-Gedenkbibliothek, den berühmt-berüchtigten Dokumentarfilm von Leni Riefenstahl: „Triumph des Willens“ von 1934. Zur Einstimmung für ein Buchprojekt schien es mir sehr nützlich, ihn auszuleihen und anzusehen. Am leeren Regalplatz wähnte ich ihn geklaut. Dann sah ich den Vermerk „An der Info nachfragen!“

Der Aufsichtsdame hauchte mein Begehren unerwartet reges bibliothekarisches Leben ein. Entrüstet zog sie die Videokassette aus einer Metallschublade und verwies auf den Kleber: „Nationalsozialistischer Propagandafilm. Ausleihe nur mit Nachweis für wissenschaftliche Arbeit!“ Ich zeigte meinen Presseausweis, der sonst immer Türen und Tore sprengt. Hier versagte er kläglich.

Die Herrin über die Schublade lehnte sich schwer schnaufend in ihrem Bürostuhl zurück und verlangte „eine Erklärung von meinem Professor“. Auch müsse ich mein Geburtsdatum dazuschreiben, denn da habe man „sehr, sehr vorsichtig“ zu sein! Giftschrank zu, Feierabend.

Daheim würgte ich lange an der kurzen Erklärung: „Ich bin 39 Jahre alt, Doktor der Philosophie und fühle mich außer Gefahr, politischer Rhetorik von 1934 zu erliegen. Film dient der Recherche für eine historische Publikation. Fotokopie des Personalausweises ist beigefügt.“

Tags darauf war die Filmhüterin eine andere. Meine Erklärung verschwand unbeachtet in einem dicken Ordner mit ähnlichen obsoleten Geständnissen. Die Kassette schon in der Hand, quittierte ich den Hinweis, dass man da „sehr, sehr vorsichtig“ sein müsse, mit einem beredten Nicken und strebte dem Ausleihschalter zu. Zwischen dem übrigen Leihgut war der schlimme Film durch den flammend gelben Rückenaufkleber „Sondermagazin! Entleihbar erst ab 18 Jahren!“ gut erkennbar.

Zunächst ging dann alles wie sonst. Dann aber stoppte der Fluss. Die Dame an der Ausleihe wurde leichenblass. Ihre Augenbrauen sprangen hoch: „Das ist Nazipropaganda!“ – „Ich habe eine Erklärung abgegeben!“, wandte ich schwach ein, doch die Frau entschwand bereits eilig, den inkriminierten Film mit sich führend. Die verächtlichen Blicke ungezählter Bibliotheksnutzer stachen auf mich unverschämten Interessenten für Nazipropaganda ein. Was tun? Abhauen?

Nach langer Wartezeit und einer Konferenz mit der alarmierten Bibliotheksleiterin, die sich an der Info informiert und sich auch meine Erklärung zu Gemüte geführt hatte, durfte ich, promoviert und alt genug, wie ich nun einmal war, das Gebäude samt Film verlassen. Grimmig und zum Nichteingreifen verurteilt starrten die uniformierten Wachen am Ausgang ins Leere.

Besagter Streifen, der mit dem bildfüllenden Hinweis „WARNING!“ beginnt, erwies sich als so öde, dass ich gut darüber eingeschlafen bin. Der Film enthält weit weniger propagandataugliche Stellen als der wöchentliche NS-Reißer von Guido Knopp.

Übrigens, neugierige Minderjährige, aufgepasst: Das viel gefährlichere Nazibuch „Wer war Hitler?“ von Hans Severus Ziegler, dem ehemaligen Gaukulturamtsleiter von Weimar, wird in der Amerika-Gedenkbibliothek ganz ohne Passkontrolle jedem ausgeliehen! Da müsste man freilich sehr, sehr vorsichtig sein! TOM WOLF