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Archiv-Artikel

Günter Wallraff enthüllt: nichts

Er habe mit der Stasi nicht „getanzt“, so Günter Wallraff zu seiner Verteidigung – aber vielleicht gesungen? Sein Anwalt stellt Marianne Birthlers Definition einer „A-Quelle“ der Stasi in Frage, eine juristische Klärung wollen sie aber lieber nicht wagen

aus Köln PASCAL BEUCKER

Sollte ganz am Schluss doch noch die Bombe platzen? Die Pressekonferenz Günter Wallraffs im Literaturhaus des Kölner Mediaparks war ihrem Ende nahe, da meldete sich ein Kollege der Welt zu Wort: Ob Wallraff Ende der Achtzigerjahre Heinz Dornberger, seinen vermeintlichen „Führungsoffizier“, in Ägypten getroffen habe, wollte er wissen. Hatte Springers Blatt wieder neue, heiße Informationen über den „IM Wagner“ ausgegraben? Wallraff schaut den Mann erst verduzt an. „Jetzt wird es immer lustiger“, sprudelt es aus ihm heraus. Dann, sichtlich amüsiert: „Ich war noch nie in Ägypten.“

Das war der Abschluss eines Ereignisses, das ganz nach dem Geschmack Wallraffs war. Ein Medienauftrieb wie zu den besten Zeiten des 60-jährigen Enthüllungsjournalisten. Was Wallraff zu enthüllen hatte, überraschte indes nicht: Nein, er sei kein „Top-Agent“ der DDR gewesen, habe nie wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet.

Nur wenn man das Ministerium für Staatssicherheit als einen Hort der Wahrheitsliebe betrachte und den dort über ihn gespeicherten Eintragungen in den Akten Glauben schenke, könnte man zu solch irrigen Auffassungen gelangen. „Dies hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun“, betonte Wallraff mit Inbrunst. Er habe weder mit dem Teufel „getanzt“ noch „gefickt“. Vielmehr sei er bei seinen Kontakten zu Offiziellen der DDR niemals irgendwelche Verpflichtungen eingegangen. „Ebenso wenig habe ich ihnen Unterlagen oder Berichte geliefert.“ Das gehe auch aus den Stasi-Akten selbst hervor, in denen zu lesen sei: „Über Wallraff sind keinerlei Personenhinweise zu erlangen.“ Wallraff: „Meinerseits dienten die Reisen in die DDR ausschließlich zu Recherchen für Texte, an denen ich arbeitete.“ Zum Beispiel über Nazi-Größen.

Außerdem versuchte er, die Glaubwürdigkeit der Stasi-Unterlagen mit Hinweisen auf falsche Angaben zu widerlegen. Zum Beispiel sei er in dem Statistikbogen von 1988 als Wohnungsmieter geführt worden, obwohl er zu diesem Zeitpunkt längst Hauseigentümer war. Aus den Akten gehe auch hervor, dass die Stasi ihn bald als Feindperson angesehen habe. Allerdings, so gab sich Wallraff selbstkritisch, könnte man ihm „aus heutiger Sicht“ durchaus „Naivität und Leichtfertigkeit im Umgang mit gewissen Behördenvertretern der DDR, die sicherlich die Kontakte zu mir ihrerseits für ihre Zwecke zu nutzen versuchten, vorwerfen“. Das „falsche Lagerdenken“, dem er einige Zeit angehangen habe, sei „ein großes Manko meiner Arbeit“.

Nach dem jetzigen Stand der Aktenauswertung gibt es nach Angaben der Stasiunterlagen-Behörde Hinweise auf eine aktive Tätigkeit Wallraffs als Stasi-Informant für den Zeitraum 1968 bis 1971. Demnach war der Autor als „IM Wagner“ registriert und wurde als so genannte A-Quelle bezeichnet. Das bedeute, dass er andere Personen „abgeschöpft“ haben soll.

Dieser Darstellung widersprach indes Wallraffs Anwalt Helmuth Jipp vehement. „Diese Beurteilung ist – und die Behörde weiß dies – falsch“, so Jipp. „A-Quellen“ seien Leute, die von der Stasi abgeschöpft wurden. „Als A-Quelle wurde niemals derjenige bezeichnet, der selber abschöpfte“, sagte Jipp – in diametralem Gegensatz zu den Experten innerhalb und außerhalb der Birthler-Behörde. Mit ihrer Interpretation verletze die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, ihr Gebot zur Neutralität. Als Jipp ankündigte, gegen die Birthler-Behörde deswegen juristisch vorgehen zu wollen, unterbrach ihn allerdings Wallraff. Er hätte sich das inzwischen anders überlegt: „Wir wollen nicht einen Fall Birthler daraus machen.“

Wallraffs Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch gab auf der Pressekonferenz eine Ehrenerklärung für seinen Autor ab. „Es wäre abwegig anzunehmen, dass Günter Wallraffs journalistische und schriftstellerische Arbeit auch nur ansatzweise von außen gesteuert worden wäre“, so Verlagsleiter Helge Malchow.

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