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Archiv-Artikel

Ein Kommen und Gehen

Borussia Mönchengladbach verpatzt den Start im lauten und schwer erreichbaren Spinnenstadion gegen Borussia Dortmund und zeigt gemeinsam mit dem Gegner kühnes verbales Niveau

Wer volle 90 Minuten für sein Geld sehen will, sollte schon am Tag vorher anreisen

AUS DEM BORUSSIA-PARKBERND MÜLLENDER

Gepfiffen hatte keiner nach dieser herben Premieren-Enttäuschung im neuen Borussia-Park, dem „Spiel für die Geschichtsbücher“, wie das Fohlen-Echo in voreiliger Begeisterung geschrieben hatte. Es gab einigen Applaus nachher und auf den Bahnhöfen sangen die rheinischen Vereinsfreunde noch lange ihre Hymnen. Aber richtige Ergriffenheit fehlte im Borussia-Park, der den geliebten Bökelberg als neue Heimat ablösen soll. 2:3 hatten sie verloren, mit einigem Pech gegen keineswegs überragende Dortmunder, aber auch mit einiger Dummheit nach zweimaliger Führung.

Das neue Stadion, ein vergleichsweise preiswerter 87-Millionen-Bau für knapp 54.000 Menschen, ist ein rechtes Schmuckstück und hat wegen seiner spinnenartigen äußerlichen Optik längst seinen Spitznamen weg: „Tarantula vom Niederrhein“. Es soll mit neuen Einnahmemöglichkeiten eine Art steinerner Garantie sein auf dem Weg „in neue Dimensionen“, wie der Präsident sagt. Kein Abstiegskampf mehr, keine finanziellen Engpässe und in ein paar Jahren wieder Europapokal spielen.

Das Stadion bietet einige Überraschungen: Schon dass es Nordpark heißt, obwohl es weit draußen im Gladbacher Westen liegt, umgeben von Bauernhöfen mit friedlichen Kuhweiden und Strohballen in Dörflein, die Gerkerath heißen und Kothausen. Eng, steil und laut wie die Schalke-Arena ist das Innere der Spinne, dafür sind die Durchsagen ein halliger Akustikbrei, schlicht unverständlich. Und der Rasen, ausgerechnet das Wichtigste, ist so stumpf und holprig, dass Trainer Holger Fach nachher kopfschüttelnd die Augen verdrehte und mit den Armen Wellenbewegungen machte – derart eben sei das Geläuf. „Und wie der Ball da hoppelt...“

Am schlimmsten ist die desaströse Verkehrsanbindung. Viele hatten stundenlange An- und Abreisestaus. Zwei Treffer waren in der Anfangsviertelstunde schon gefallen (Ivo Ulich als Ersttorschütze fürs Geschichtsbuch und van Kerkhovens Eigentor – nicht fürs Geschichtsbuch), da kamen immer noch hunderte Zuschauer außer Atem auf die Tribünen geeilt. Alle moserten, die einzige Autobahn verstaut, die Innenstadt dicht, die Polizei unfähig, Verkehrsinfarkt, Parkplatzsuche. „Wer das geplant hat, gehört geköpft“, sagte einer.

Wie als Extraservice für die Spätkommer hatte es nach einer halben Stunde gleich drei Tore in drei Minuten gegeben. Wieder führte Gladbach, diesmal durch Hausweilers Fernschlenzer, um durch einem Doppelschlag den frühen Endstand durch Koller und den bärenstarken Ewerthon zuzulassen. Da wären manche vor Schreck am liebsten gleich wieder gegangen.

Der neue Kapitän Christian Ziege, auf dem Weg „vom Schnösel zum Spaßvogel“ (Stadionheft), gab nachher eine gesellschaftspolitische Fußballanalyse: „In der heutigen Zeit“, hub er an, „wo alle Leute in allen Schichten kämpfen müssen“, müsse man, „wenn der Kopf oder der Spann nicht abfällt und man noch laufen kann, dann eben halt auf die Zähne beißen“. Er hatte trotz Verletzung durchgehalten und ein starkes Debut gegeben. Ähnlich Oliver Neuville. Sein Fohlen-Ersteinsatz war ein Spiegelbild seiner ganzen Karriere: Viele temporeiche Szenen voller Gefahr, durchsetzt aber mit Eigensinnigkeiten und Übereifer. Der Ex-Leverkusener, akustisch kaum vorbelastet, fand „das tolle Stadion unwahrscheinlich sehr laut“.

Komischerweise waren alle zufrieden. Die Dortmunder, weil sie in einem packenden Match aufopferungsvoll und mit einem überragenden Tomas Rosicky „den totalen Fehlstart“ (Sunday Oliseh) glücklich vermieden hatten. Und die Gladbacher, weil sie so gut waren - jedenfalls in der Einzelkritik von Holger Fach. Enrico Gaede? „Hat überragend gespielt, eine Persönlichkeit!“ Ziege? „Ein absoluter Gewinn.“ Nico van Kerkhoven? „Sehr souverän.“ Darius Kampa, der neue Keeper, zuvor Ersatz in der 2. Liga: „Absolut ruhig.“ Überhaupt: „kein Ausfall dabei, gut mitgespielt gegen diesen Gegner, der mit Hochkarätern gespickt ist“. Kurz: „Es gibt nichts zu kritisieren.“

So redet man, wenn man ein ärgerliches Ergebnis schön reden muss. Ob jetzt „ein Heimfluch entsteht“, wie der Fußballweise Udo Lattek orakelt? Auch Schalke und Wolfsburg haben sich in ihren neuen Arenen zuerst nicht zurechtgefunden. Als nächster Gegner kommt Meister Bremen. Nur: Wer volle 90 Minuten für sein Geld sehen will, sollte am besten schon am Tag vorher anreisen.

Und Borussia Dortmund? Der Dauerkrisenclub will jetzt gleich Meister werden. „Warum nicht!“ sagt Kapitän Dede. Es war ein Nachmittag voll kühnem verbalem Niveau.