: Transatlantisches Überbrückungskabel
In der Weltwirtschaftskrise von 1929 trat General Motors noch als Retter der Opel-Werke auf den Plan. So bruchlos und glanzvoll, wie sie der nostalgische Blick gerne erscheinen lässt, ist die deutsch-amerikanische Geschichte namens Opel aber nicht. Eine historische Recherche zu einer unheiligen Allianz
Das Jahr 1862 gilt als Gründungsjahr von Opel. Adam Opel, Sohn eines Schlossermeisters, baute in der väterlichen Werkstatt in Rüsselsheim seine erste Nähmaschine. Bis zur Einstellung der Nähmaschinenproduktion 1911 war Opel einer der wichtigsten Hersteller.
Ab 1886 kamen Fahrräder als neues Produkt hinzu. Der Geschäftsbereich wuchs auch durch Zukäufe, etwa von Diamant in Chemnitz. Dort wurde in den 1920er-Jahren die Opel-Motorradproduktion konzentriert. 1936 verkaufte Opel die Fahrradsparte an den Konkurrenten NSU.
Autos stellt Opel seit 1898 her. Damals hatten die Opel-Söhne die Dessauer Firma Friedrich Lutzmann aufgekauft. Mit der neuen, 1924 aus Amerika übernommenen Fließbandproduktion und einem grün lackierten, weitgehend von Citroën geklauten Modell namens „Laubfrosch“ stieg Opel zum größten deutschen Autohersteller auf – noch vor der Auto Union AG und vor Daimler-Benz.
General Motors, gegründet 1908, übernahm im März 1929 80 Prozent, 1931 auch den Rest der Anteile. Seitdem ist Opel im Alleinbesitz von GM. RSC
VON ROBERT SCHRÖPFER
Man stelle sich vor, die Besitzer eines großen deutschen Automobilherstellers hätten noch vor Beginn der Krise mit mehr Glück als Verstand einfach das Richtige getan. Sie werden von einem zahlungskräftigen Investor aus dem Ausland entdeckt, wandeln ihr als Kommanditgesellschaft geführtes Familienunternehmen in eine Aktiengesellschaft um, und noch kurz bevor die Investment- und die Geschäftsbanken crashen, bevor die Börsenkurse ins Bodenlose stürzen und auch die Absatzmärkte wegbrechen, verkaufen sie die Firma für eine rekordverdächtige Summe – nicht ohne sich selbst noch hochdotierte Posten in Vorstand und Aufsichtsrat zu sichern. Opel jedenfalls ist dieser Coup gelungen. Allerdings nicht in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, sondern in der von 1929.
In den Jahrzehnten zuvor, seit der Firmengründung 1862, war das Familienunternehmen aus Rüsselsheim von der Nähmaschinenwerkstatt in der hessischen Provinz zum größten Autobauer außerhalb der Vereinigten Staaten gewachsen. Als sich General Motors – ebenjener Konzern, der heute eine ganz andere Rolle spielt – auf dem deutschen Markt, dem damals am wenigsten motorisierten und damit vielversprechendsten Europas, umschaute, zögerten die Brüder Fritz und Wilhelm von Opel, Söhne des Gründers, nicht lange.
Im März 1929, ein halbes Jahr vor dem Schwarzen Freitag, gingen achtzig Prozent der Anteile der zuvor gebildeten Aktiengesellschaft an den GM-Konzern über, der bis 1931 auch die restlichen Aktien kaufte – für einen Gesamtpreis von damals sagenhaften 33,3 Millionen US-Dollar. Für Vauxhall bezahlte GM damals mit 2,5 Millionen Dollar nicht einmal ein Zehntel dieser Summe.
In einer schweren Krise begann eine deutsch-amerikanische Geschichte, die 80 Jahre später nun wieder in einer schweren Krise steckt. Und wann immer in diesen Tagen von Opel als Symbol die Rede ist, wird nostalgisch zurückgeblickt. Die Marke stehe „für Solidität und Biederkeit der fünfziger Jahre, für Familiensinn und Wirtschaftswunder“, schreibt etwa der Spiegel und resümiert: „für die Grundlagen von allem also“. Nicht umsonst fährt auch Frank Lehmann, Protagonist in Sven Regeners Roman „Neue Vahr Süd“, im Opel Kadett durch die westdeutsche Provinz der 1980er-Jahre. Ganz zu schweigen von den grandios ambivalenten Stereotypen, die sich mit dem Opel Manta von Fuchsschwanz und Tuning bis zum „Manta, Manta“-Film mit Til Schweiger und Tina Ruland verknüpfen.
Doch macht man sich die Mühe, einmal in einschlägige Veröffentlichungen zur Firmenhistorie zu blicken, dann wird schnell klar, dass sich die Opel-Story keineswegs so bruchlos und so glanzvoll abspielte, wie sie die kollektive Erinnerung im Angesicht des gegenwärtigen ökonomischen Desasters erscheinen lassen will.
General Motors jedenfalls erlebte noch 1929 eine Überraschung. Opel war zwar der Marktführer in Deutschland, jedes zweite in Deutschland hergestellte und jedes vierte dort verkaufte Auto kam aus seinen Werken. Doch die Manager hatten wohl vergessen, einen genaueren Blick in die Bücher des Übernahmekandidaten zu werfen. Durch Investitionen waren die Firmenkonten mit 3 Millionen Dollar in den Miesen. Im zweiten Halbjahr 1929 brach der Absatz ein, so dass nur durch ein gutes erstes Halbjahr noch Gewinne ausgewiesen werden konnten. Im Jahr 1930, so ist bei dem amerikanischen, 2008 verstorbenen Historiker und Yale-Emeritus Henry Ashby Turner nachzulesen, der Anfang der 2000er-Jahre im Auftrag von GM die Unternehmensgeschichte im Nationalsozialismus untersuchte und dessen Studie „General Motors und die Nazis – Das Ringen um Opel“ seit 2006 auch auf Deutsch vorliegt, sank die Produktion um fast ein Viertel. Opel machte weitere 3 Millionen Dollar Minus. Und auch die Mittel, mit denen das Management die Verluste in den darauf folgenden Jahren drosselte, könnten genauso heutigen Nachrichtentickern entstammen: Kurzarbeit, zeitweilige Betriebsstilllegungen, umfangreiche Entlassungen.
Der Aufschwung setzte 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein, in deren Konjunktur- und Rüstungsprogramm Autos und Autobahnen bekanntlich eine propagandistische Schlüsselrolle spielten. In seiner differenziert gearbeiteten Studie kommt Turner vielmehr zu dem Ergebnis, die Amerikaner seien von den Nationalsozialisten als Störfaktor angesehen und auch behandelt worden. Doch den Begehrlichkeiten des NS-Regimes stand vonseiten der GM-Konzernzentrale und deren amerikanischer Manager vor Ort ein verhängnisvoller Pragmatismus gegenüber, das Eigentum der Shareholder durch immer neue Kompromisse zu schützen und – wie Turner formuliert – „in der Hoffnung auf bessere Zeiten an etwas festzuhalten, das unter den Bedingungen des Dritten Reichs zur Geisel werden sollte“.
Auf der einen Seite verhinderten restriktive Devisenbestimmungen, dass Gewinne, geschweige denn die aus einem etwaigen Verkauf der Tochterfirma, ins Ausland abgeführt werden konnten. Jüdische Mitarbeiter zog Opel zwar zurück, doch verhalf ihnen der Konzern vielfach zur Emigration, indem GM ihnen neue Jobs in Tochterfirmen in anderen Ländern anbot. Bereits vor der Kriegserklärung Deutschlands an die USA im Dezember 1941 gab es massive Versuche, die Firma insgesamt per Zwangsverkauf zu übernehmen.
Nach und nach rückten amerikanische Manager in den Hintergrund und verließen Deutschland, bis der Kontakt auch zu den deutschen Mittelsmännern abbrach und spätestens ab 1941 keine Berichte mehr aus Deutschland herauskamen. Im November 1942 wurde Opel als Feindvermögen unter deutsche Zwangsverwaltung gestellt.
Auf der anderen Seite aber, das macht Turner mindestens ebenso deutlich, verstrickte sich GM mit dem Regime, indem es sich überhaupt auf ein Taktieren gegenüber NS-Deutschland einzulassen bereit war.
Die auch gewaltsame Gleichschaltung der Betriebe wurde hingenommen. Opel bewarb sich, wenn auch erfolglos, um das Volkswagen-Projekt. Im neu errichteten Werk in Brandenburg an der Havel wurden Lastwagen des Modells Opel Blitz gebaut, später im Angriffskrieg der Wehrmacht an allen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Und um Begehrlichkeiten hessischer NS-Granden auszuweichen, ließ sich das örtliche amerikanische Management entgegen den Richtlinien aus Detroit auf einen Technologietransfer ein und errichtete ein Werk für Getriebeteile für Junkers-Kampfflugzeuge vom Typ Ju 88.
Unter deutscher Verwaltung produzierte Opel ab 1941 Granaten und Torpedoteile. Ab 1941 wurden Kriegsgefangene, ab 1942 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus ganz Europa in den Werken in Brandenburg und Rüsselsheim – allein dort insgesamt mehr als 7.000 – ausgebeutet.
Sie waren der Prügelstrafe ausgesetzt und zynischerweise von alliierten Luftangriffen auf die kriegswichtigen Rüstungsstandorte besonders betroffen, da ihnen der Zugang zu Schutzkellern verwehrt wurde. Bei einem Angriff Ende August 1944 starben 115 Fremdarbeiter, während es unter der deutschen Belegschaft keine Opfer gab.
Und auch wenn GM für diese deutschen Verbrechen keine Verantwortung trägt, mutet es zynisch an, dass der Konzern 1951 die mit dem Leid von Zwangsarbeitern erkauften, durch die Währungsreform nun geschrumpften Gewinne für sich in Anspruch nahm und abkassierte. Fünf Jahrzehnte später beteiligte sich Opel mit 30 Millionen D-Mark am Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft, der unter dem Eindruck von Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter vor US-Gerichten zustande gekommen war.
Eine Frage des Blickwinkels ist auch die Bewertung jenes Teils der Geschichte, der nicht im Nationalsozialismus angesiedelt ist. Man muss kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, wie sie im Internet als angebliche „Street Car Conspiracy“ kursieren, um im Opel-Mutterkonzern GM selbst nicht eben einen Vorreiter nachhaltigen Wirtschaftens zu erkennen. Schon in den 1920er-Jahren verdiente GM einen Gutteil seines Geldes und seiner Macht im Wettbewerb gegen den Schienenverkehr. Die Verdrängung von Straßenbahnen in den Städten und Eisenbahnen im Fernverkehr, im 19. Jahrhundert noch der Entwicklungsmotor Amerikas, durch Busliniennetze wie die Greyhounds, ging ganz wesentlich auch auf das Konto des Konzerns.
Die Folgen derart extensiven Wirtschaftens sind nicht zuletzt in Detroit selber zu besichtigen, das von der einstigen Motor- zu einem Modellfall der „Shrinking Cities“ abstieg, wie sie das gleichnamige, von der Bundeskulturstiftung kofinanzierte Ausstellungsprojekt eindrucksvoll dokumentierte: tote Innenstädte, „Gated Communities“ und destabilisierte, sozial abgehängte Armutszonen.
Wenn Experten wie der Ex-Chefvolkswirt von BMW, Helmut Becker (taz vom 24. Februar), in der gegenwärtigen Diskussion um eine Opel-Rettung nun neben einer „deutschen Lösung“ mit BMW und Daimler den Blick auch auf chinesische Hersteller lenken, führt dies vor Augen, wie sehr die Gewichte sich verschoben haben. Natürlich steht China in der Krise vor Problemen, deren Dimension die im Westen bei weitem übersteigen dürfte. Doch dass solche Optionen, vor Jahren noch undenkbar, überhaupt ins Spiel gebracht werden, zeigt, dass die Einsicht in die Notwendigkeit gewachsen ist, völlig neu zu denken. Extensives Wirtschaften erscheint – zumindest im Moment – auch betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll.
Das Dumme dabei ist nur, dass den Preis für die Veränderungen, unabhängig vom Ausgang aller Rettungsversuche, vielleicht die Steuerzahler, mit Sicherheit aber Beschäftigte und Jobsuchende bezahlen werden.