: Tod kommt durch Verwahrung
Durch verschärfte Sicherheitsgesetze wächst die Zahl der Häftlinge, die hinter Gittern sterben. Kirchen, Politiker und Justiz suchen nach einem würdigen Tod für die Häftlinge
aus ISERLOHNNATALIE WIESMANN
Auch lebenslang Inhaftierte haben ein Anrecht auf einen würdigen Tod. Dies erklärten einmütig Politiker aller Landtagsfraktionen auf einer Podiumsdiskussion in Iserlohn, zu der die Evangelische Landeskirche Westfalen geladen hatte. Doch Anstaltsleitern und Seelsorgern reichten die Worte der Politiker nicht: Sie prophezeien eine wachsende Zahl an Häftlingen, die durch eine Verschärfung der Sicherheitspolitik und einer immer restriktiveren Behandlung im Gefängnis sterben werden.
Bisher sind es zwölf Menschen pro Jahr, die seit 1980 NRW-weit in Unfreiheit gestorben sind, so die offiziellen Zahlen des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen. Durch neue Therapieansätze wolle man versuchen, so ihr Präsident Klaus Hübner, die Zahl auch in den kommenden Jahren klein zu halten. „Der Vollzug muss sich mehr bemühen“, sagt er. Er solle durch eine bessere therapeutische Versorgung verhindern, dass es zu buchstäblich lebenslanger Haft komme. Doch Hübners Statistik ist umstritten: „Die Zahl ist in Wirklichkeit um ein Vielfaches größer“, wirft ein Pfarrer aus Baden-Württemberg in die Diskussion ein. Viele Inhaftierte würden „von Tod und Siechtum gezeichnet“ ins Justizkrankenhaus entlassen und aus der Statistik herausgenommen. „Der Tod fängt bei der tödlichen Diagnose an“, unterstützt ihn Gefängnisarzt Josef Bausch, „nicht erst mit dem letzten Herzschlag“. Er ist bekannt aus dem Fernsehen – als Gerichtsmediziner im Tatort.
Die Betreuer der Häftlinge und Gegner einer lebenslangen Haft haben einen wichtigen Fürsprecher: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977 könne eine lebenslange Haftstrafe nur dann verhängt werden, „wenn dem Verurteilten grundsätzlich eine realisierbare Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden“, heißt es dort. In einer späteren Leitentscheidung wurde die Grundsatzentscheidung noch ergänzt: Mit der Würde des Menschen sei es unvereinbar, wenn sich die Chance auf Freiheit „auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest reduziere“.
Die Politiker auf dem Diskussionspodium ließen sich durch diesen Grundsatz jedoch nicht beeindrucken. Der CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Joachim Franke philosophierte über das Böse an sich und verließ die weltliche Diskussion. „Wie kommt es, dass die Menschen die Freiheit mit Füßen treten, sich an der Gemeinschaft versündigen, um dann in lebenslange Strafe oder Sicherheitshaft zu kommen?“, fragt sich der Christdemokrat. Für ihn ist der Tod „eine Durchgangsstation zu einer möglichen anderen Welt“. Er fordert ein normales Verhältnis im Umgang mit Tod und Sterben, vor und hinter den Gefängnismauern. „Jeder kann in die Rolle des Sterbebegleiters kommen“, sagt er. Sein FDP-Kollege Karl-Peter Brendel ergreift die Gelegenheit, um seine typisch liberale Unzufriedenheit mit den vielen gesetzlichen Regelungen kund zu tun. „Wir brauchen nicht nach jedem Vorfall ein neues Sicherheitsgesetz“, sagt er. Georg Scholz von der SPD ist selbst Arzt und Psychotherapeut. Auch er sieht das Problem, dass freie Menschen ihren Ort des Sterbens selbst aussuchen können, Inhaftierte jedoch nicht. Für ihn ist es dennoch ein Randproblem. Es seien zu wenige, die „kein Licht am Ende des Tunnels mehr erblicken würden“, um das Personal professionell in Hinblick auf Sterbehilfe zu schulen. Und: „Ein gefängniseigenes Hospiz ist der Sache nicht angemessen“, sagt er. Sybille Haußmann, rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, war der Veranstaltung gleich unentschuldigt ferngeblieben.
Michael Skirl, Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl, lässt sich weder von den Zahlen des Landesjustizvollzugsamtes NRW beeindrucken, noch von den Reden der Politiker. Er moniert die erheblichen Verschärfungen in der Kriminalitätsbekämpfung 1998 und 2002 durch die erleichterte und nachträgliche Sicherungsverwahrung. „Ich bestreite, dass die Zahl der in Gefängnis Sterbenden niedrig bleiben wird. Im Gegenteil: Sie werden dramatisch steigen“. Allein heute lebten 104 Sicherheitsverwahrte in nordrhein-westfälischen Gefängnissen, die dort auch ihren Tod finden werden. „Auch medizinische Fortschritte führen dazu, dass Strafzeiten sich immer öfter bis zum Tode erstrecken“, sagt er. Dass sich daran etwas ändern wird, ist nach den Ergebnissen dieser Diskussion unwahrscheinlich.