: Essen wie Gott in Ostfriesland
Akademische Tafelrunde: Mehrere Projekte bemühen sich, die Ostfriesen endlich kulinarisch zu zivilisieren. Aber: Wat de Buur nich kennt …
aus Ihlowerfehn Thomas Schumacher
„Keen kram. Tuffels, Flees und en heel bietje Soße“, am Mittagstisch der Familie Hartmann in Bingum/Ostfriesland herrschen klare Verhältnisse. Also gibt es keinen Quatsch, sondern, wie gesagt, Kartoffeln, Fleisch und ein bisschen Soße extra. Die Formel für Genuss ist in Ostfriesland einfach: Menge plus Hochprozentiges.
Das Projekt Ossena der Uni Oldenburg möchte das ändern. Ökologisch wertvolle Produkte soll die Landwirtschaft auf kurzen Wegen in der Gastronomie liefern. Die serviert statt Pommes Kleikartoffeln und statt Hormonschweineschnitzel Auerochsenbrust. Kurz: Statt essen wie Gott in Frankreich, soll es schlemmen in Ihlowerfehn heißen. „Wir wollen den Menschen eine regionale Alternative zum Einheits-Fast Food bieten“, sagt Kerstin Lanje, Koordinatorin von Ossena.
„Ostfriesland ist eine traditionell landwirtschaftlich geprägte Region“, erläutert Reinhard Priem, Professor an der Uni Oldenburg und Projektleiter von Ossena. Damit sei der Landstrich „prädestiniert für eine saubere, schmackhafte Küche.“ Nur die Menschen müssten noch „lernen, dies zu genießen.“
Tatsächlich ist die ostfriesische Landwirtschaft von Seuchen und Skandalen meist verschont geblieben. Massentierhaltung gibt es in der Regel nicht. Trotzdem kommen kleineren Familienbetriebe nur knapp über die Runden. Und was „ökologisch“ heißt, wird von den meisten Bauern erstmal abgelehnt.
Engagierter ist Iris Ehrentraut, Schafzüchterin aus Rhauderfehn und ihr Mann, der Saatgut traditioneller Gemüsesorten ökologisch-dynamisch anbaut: „Wir haben erstklassige Produkte, aber wir rennen uns die Haken ab, um sichere Abnehmer zu finden“, beschreibt sie ihr Problem.
Ossena aus Oldenburg und ihr Ablegerverein Onno wollen helfen. Onno setzt nämlich in die Praxis um, was sich die Professoren so ausdenken. Schon über 40 bäuerliche Betriebe haben sie in einem ökologischen Netzwerk zusammengebracht.
Zum Anbiss mit Salzdeichkalb Carpaccio im Muschelbeet kam allerdings nicht die zuständige Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne). Sie schickte stattdessen Umweltminister Jürgen Trittin.
Gut zehn Restaurants in Ostfriesland bieten jetzt auf ihrer Speisekarte, regionale, „saubere“ Kost an. Der Haken: Diese Restaurants sind ausschließlich Edelküchen. Und das Perlhuhn im Weinsud ist ein teures Vergnügen.
Trotzdem hat Ossena bereits größere Absatz-Erfolge zu verbuchen. Als Partner hat das Projekt die Büntinggruppe gewinnen können. Das ist eine der 15 größten Handelsketten in Deutschland. Eine ihrer Supermarktketten, Combi, die in Norddeutschland zirka 50 Märkte betreibt, bietet die Eigenmarke „Naturwert“ an. Das sind Eier- und Milchprodukte und Fleisch, produziert von regionalen Kleinbetrieben nach besonders kontrollierten Anbaumethoden. Aber auf die ist Professor Priem nicht besonders gut zu sprechen: „Wir haben das zusammen entwickelt, aber Combi hat eine Eigenmarke daraus gemacht und uns nicht erwähnt.“ Außerdem wirft er der Supermarktkette vor, „zu wenig über den ökologischen Wert der Produkte“ aufzuklären.
Deswegen suchen die Ossena-Forscher den direkten Weg zu den gemeinen FresserInnen. Mit Unterstützung einer Emder Medienagentur veranstalten sie kulinarische Events. Der musikalische Sommer, mittlerweile ein Touristenmagnet in Ostfriesland und dem Groninger Land, bietet jetzt nicht nur Konzerte der Spitzenklasse an historisch interessanten Orten, wie Schlössern, Kirchen, Rathäusern, es wird auch Erlesenes auf den Tellern aufgelegt. Zudem organisiert Ossena das „Ostfrieslandmahl“. Auf ökologischen Bauernhöfen werden erlesene regionale Speisen aufgetragen. Schlimm ist es da nur, wenn das einzige in Ostfriesland von Hand gebraute und konservierungsstofffreie Bagbander-Bier lauwarm auf den Tisch kommt. Pech, wenn die einzige wirklich regionaltypische Speise, Buchweizen Pfannkuchen mit Quarkfüllung, angebrannt ist. Schade, dass man die Auerochsenbrust nirgendwo kaufen kann und der Braten vom Bentheimer Schwein vor dem Aussterben steht. Die alte Haustierrasse züchtet kein Schwein, pardon Bauer, mehr.
Und was ist mit Fisch? Muscheln werden in den Niederlanden vermarktet, Aal kommt aus Dänemark, Schollen und Matjes aus den Niederlanden. Seezunge ist überfischt. Zudem galt Fisch im Fleischland Ostfriesland schon immer als „Entenfraß“.
Auch traditionelle Gerichte umgeht Ossena. Die sind wenig fein, dafür aber üppig fett. Updrögt Bohnen, beispielsweise, getrocknete Bohnen mit Kartoffeln und fettem Fleisch. Oder Gepökeltes mit ditjes und datjes (eingelegten Kürbis und anderem Gemüse). Oder Snirtje Braa, scharf gebratene Fleischstücke vom frisch geschlachteten Schwein in scharfer Soße. Daröver geit dat nix! Dazu reichen wir den legendären „Kruiden“, einen Kräuterschnaps, der in Ostfriesland wegen seines Geschmacks auch als Waffe benutzt wird.
Kontakt: www.ossena-net.de