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Archiv-Artikel

mail aus manila Die Imelda in uns allen

3.000 Paar Schuhe? 4.000 Paar Schuhe? Je länger das Marcos-Regime zurückliegt, desto sagenhafter wird die Zahl der Schuhe, die Imelda Marcos besessen haben soll. Selbst wenn man sonst überhaupt nichts über die Philippinen weiß, eines weiß man auf jeden Fall: Die Frau des ehemaligen Diktators hatte un-glaub-lich viele Schuhe. In dem Film „Imelda“ von Ramona Diaz fährt die Kamera an Vitrinen voller Pumps entlang, die alle auf der Innensohle den Namen der ehemaligen First Lady der Philippinen in goldenen Buchstaben eingeprägt haben. Sie stehen heute in einem Museum in Manila.

Die Dokumentation, die im vergangenen Jahr beim amerikanischen Sundance-Filmfestival ausgezeichnet wurde, ist nun auf den Philippinen gestartet und hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Imelda Marcos versuchte, den Film gerichtlich verbieten zu lassen. Verschwörungstheoretiker – mit denen die Philippinen reich gesegnet sind – glauben allerdings, dass sie den Konflikt nur suchte, um Vorab-PR für ihre Autobiografie zu generieren, die demnächst in England erscheinen soll. Denn schnell kapitulierte die Marcos mit der süffisanten Bemerkung, jeder habe eben das Recht auf seine eigene Weltsicht.

Und die darf sie in dem Film ausführlich und unwidersprochen ausbreiten. Imelda Marcos darf reden. Und reden und reden und reden. Über ihre Version des Marcos-Regimes (Es hat keine politischen Gefangenen gegeben, und sie selbst wollte sowieso immer nur das Beste für alle. Folter? Nie gehört!). Über den Anschlag, den sie mit elf Messerschnitten am ganzen Körper überlebte („Wenn ich schon mit so einem hässlichen Bolo-Messer erstochen werde, dann hätten sie wenigstens ein gelbes Taschentuch darumbinden können.“). Oder ihre Ansichten über Schönheit: „It is easy to be beautiful, because it is natural.“

Makellos geschminkt und frisiert und immer mit einem über die Schulter geworfenen Seidenschal angetan, sitzt sie vor der Kamera und erzählt mit Grandezza aus ihrem Leben. Das Publikum amüsiert sich über ihre ehemalige First Lady königlich. Die Journalisten, die im Film von der Folter unter Marcos’ berichten, wirken gegen sie irgendwie sauertöpfisch. Mit ihrer Vorliebe für großes Pathos, Melodrama und Talmi appelliert Imelda Marcos an ein unausgesprochenes Einverständnis mit ihren Landsleuten, an die „Imelda in uns allen“, wie es die Zeitung Philippine Star nannte.

Diese Mentalität bringt bis heute allerhand schillernde Gestalten zu politischen Ämtern. Überdurchschnittlich viele philippinische Politiker sind ehemalige Schauspieler – zum Beispiel der frisch in den Senat gewählte Schauspieler Lito Lapid. Der möchte allerdings sein Amt gar nicht erst antreten. Lieber will der Actionstar die Hauptrolle in einem Biopic über Angelo de la Cruz, den im Irak entführten und mit Enthauptung bedrohten philippinischen Lastwagenfahrer, spielen. Von ähnlich bizarrem Kaliber ist der Parteilose Elly Pamatong, der im Wahlkampf mit dem Versprechen antrat, die Philippinen zum 51. Staat der USA zu machen. Jetzt hat er angeboten, 50 seiner Bodyguards in den Irak zu schicken, um das abgezogene philippinische Kontingent zu ersetzen.

Von Imelda können sie sich freilich alle noch etwas abschauen. Wenn sie im Mausoleum neben dem einbalsamierten, blau angestrahlten Leichnam ihres Mannes schluchzt, dann herrscht im Publikum betroffenes Schweigen. Solche Szenen kommen an in einem Land, in dem das Fernsehprogramm zu einem großen Teil aus Klatschsendungen besteht, in denen Schlagersänger und Showsternchen coram publico ihre schmutzige Wäsche waschen. Gefragt, was auf ihrem Grabstein stehen soll, antwortet sie: „Here lies love.“ Dann sind ihre Verbrechen und die 150 Gerichtsverfahren, die noch gegen sie laufen, vergessen. Vergessen auch die Steuerschulden in Dollarmillionenhöhe, die sie dem Finanzamt schuldet und die sie angeblich nicht von den 90 Peso Rente bezahlen kann, die sie als Witwe eines Kriegsveteranen monatlich bekommt.

Und die Schuhe? Laut Imelda waren es nur 2.000. Hinter vorgehaltener Hand erzählt die Wärterin des Museums, in dem die Schuhe heute sind, heimlich habe sie auch schon ein Paar anprobiert. Sie holt die beiden Schuhe aus dem Regal, streichelt über das silberne Leder und lächelt wehrlos in die Kamera.

TILMAN BAUMGÄRTEL