: Zweite Chance für Jung-Deliquenten
Niedersachsen: CDU-Fraktion macht Kürzungen für die Reintegration straffälliger Jugendlicher rückgängig. Maßnahmen für 5.000 Betroffene
HANNOVER taz ■ Sie basteln an alten Trabbis und gurken mit den Renn-Pappen über die Piste. Manche sind in der „Funkergruppe“, wieder andere der 30 straffälligen Jugendlichen in Neuhaus üben sogar filmreife Stunts – natürlich unter sozialpädagogischer Betreuung. „Die Leute im Amt Neuhaus haben es besonders schwer“, sagt Petra Peterich vom Albert-Schweitzer-Familienwerk. Immer noch ist die nach der Wende dem Land Niedersachsen beigetretene Ost-Exklave jenseits der Elbe eine benachteiligte Region.
Wer hier auf die schiefe Bahn gerät, hat es besonders schwer, wieder Fuß zu fassen. Dennoch stand die Außenstelle des Lüneburger Familienwerks, die sich um die Integration der „Straffälligen von Morgen“ im Amt Neuhaus kümmert, lange auf der Kippe. Die Landesregierung wollte die Zuschüsse für die Förderung straffälliger Jugendlicher streichen: 70.000 Euro hätte das allein für das Familienwerk bedeutet – und damit wohl das Aus für Neuhaus. Nach heftigen Protesten beschloss die CDU-Fraktion jedoch gestern, die Mittel für die Betreuung deliquenter Kids und den Täter-Opfer-Ausgleich wieder in den Haushalt für das nächste Jahr einzustellen. „Jeden Euro, den wir hier investieren, wird die Gesellschaft um ein Vielfaches zurückerhalten“, sagte Fraktionschef David Mc Allister.
1,8 Millionen Euro hatte Niedersachsen pro Jahr für die Betreuung der Jugendlichen und für den Täter-Opfer-Ausgleich locker gemacht. 5.000 Jugendliche und ihre Opfer profitierten von den Zuschüssen. Der Beschluss der CDUler dürfte tatsächlich beim Sparen helfen. „Wenn nur die Hälfte der durch den Täter-Opfer-Ausgleich betreuten Jugendlichen im Knast landet, wäre das doppelt so teuer“, sagt Ilka Schiller von Kontakt e.V. in Alfeld.
Der Verein hätte die Arbeit von Kontakt um die Hälfte reduzieren müssen, wenn die Sparpläne Wirklichkeit geworden wären, Kündigungen waren bereits geplant. Kontakt e.V. kümmert sich jedes Jahr um 140 delinquente Jugendliche im Kreis Hildesheim – und um diejenigen, die unter ihnen zu leiden hatten: traumatisierte Supermarktkassierinnen, beklaute Wohnungsinhaber oder Menschen, denen körperliches Leid zugefügt wurde. In Gesprächen vereinbaren Täter und Opfer Schmerzensgelder, Schadensersatz oder Arbeitseinsätze. Auch zur Kino-Einladung oder reuigem Wohnungs-Renovieren ist es schon gekommen, erzählt Schiller. Und: „Die Vereinbarungen werden zu einem hohen Teil eingelöst.“
Um so weniger verstand sie die Kürzungspläne der Landesregierung, die 61 Einrichtungen in Niedersachsen betroffen hätten. Jetzt ist Schiller erleichtert: „Da wären auf einen Schlag 20 Jahre erfolgreicher Kriminalpolitik zunichte gemacht worden.“
Kai Schöneberg