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Archiv-Artikel

„Stimmt, Klappern gehört zum Geschäft“

30 Globalisierungskritiker zelten Unter den Linden bei VW – weil der Konzern in Brasilien Landbesetzer vertrieben hat. Doch die Verantwortlichen sind gerade alle in Frankfurt. Dafür gibt es Saft, Broschüren und eine zaghafte Annäherung

„Sie können mir Ihren Fragenkatalog geben. Wir versuchen, ihn beantworten zu lassen“

Vielleicht hätten sie sich einen anderen Tag suchen sollen. Nicht den Pressetag der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt. Von dem weiß noch keiner der linken Aktivisten, als sie gestern Mittag in die Volkswagen-Repräsentanz Unter den Linden Ecke Friedrichstraße eindringen. Sie wissen nur, dass hier der Konzern sitzt, der vor kurzem mehrere tausend Landlose von einem besetzten Konzerngelände in Brasilien vertreiben ließ. Sie wissen auch, dass in der VW-Repräsentanz gerade die Ausstellung des sozialkritischen US-Künstlers Duane Hanson stattfindet. Und sie wissen, dass heute der Internationale Aktionstag gegen die WTO-Konferenz in Cancún stattfindet. Das reicht. Vor allem dann, wenn man jung ist. Und das Wegschauen noch nicht gelernt hat.

Die Ausstellung ist im Untergeschoss. In dem weißen, ovalen Raum stehen die lebensgroßen Figuren von Duane Hanson. Mit ihnen versuchte der verstorbene Künstler ein realistisches Bild der desillusionierten US-amerikanischen Mittel- und Unterschicht darzustellen. Die Puppen blicken müde ins Leere. Mittendrin sollen nun Zelte aufgeschlagen werden. Das haben sich die Globalisierungskritiker vorgenommen. Dann wollen sie dort ausharren, bis ein VW-Verantwortlicher zu den Vorgängen in Brasilien Stellung nimmt. „Es wäre aber schon ein Erfolg, wenn wir die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren könnten“, sagt Tomas Lecorte. Er ist der Sprecher der rund 30 Aktivisten. Derjenige, der nachher mit den Verantwortlichen verhandeln soll. Über die Landlosen von Brasilien, über die Frage, ob VW mit etwas gutem Willen eine bessere Welt schaffen könnte. Die beiden Sicherheitsleute, die die Ausstellung bewachen, haben keine Chance. Einer liefert sich eine hilflose Rangelei mit einigen Globalisierungskritikern. Zwei Leute halten ein Transparent hoch. „Das Land den Landlosen“, steht darauf. Die ganze Aktion hat bis jetzt nicht einmal eine Minute gedauert.

Nur eine weitere Minute dauert es, bis eine blonde Frau mit hochgestecktem Haar eine Treppe zur Ausstellung herunterschießt. Gabriele-Vera Heider ist Geschäftsführerin der VW-Repräsentanz. Sie ist seit elf Jahren in Berlin, es ist nicht die erste Aktion, die sie miterlebt. Eigentlich, so wird sie später sagen, findet sie solche Aktionen gut. Aber heute? Auf diese Art? Ohne sie zu fragen? Dafür hat sie kein Verständnis: „Was Sie hier machen, ist Erpressung. Wenn Sie nicht gehen, werden wir räumen lassen. Die Polizei ist schon verständigt.“ Heiders Ohrringe wackeln im Takt ihrer Worte. Ihr Schal ist offen, sie presst die pinkfarbenen Lippen aufeinander. Ihr gegenüber steht Lecorte. Er trägt ein T-Shirt der brasilianischen Landlosenbewegung. Er ist zwei Köpfe größer als die Geschäftsführerin. Um mit ihr zu reden, muss er sich 40 Zentimeter bücken. Um sie zu verstehen, wären viel mehr als 40 Zentimeter nötig: „Wir wollen doch nur mit einem Verantwortlichen über Brasilien sprechen.“ Heiders Ohrringe wackeln noch mal: „Die Verantwortlichen sind alle auf der IAA. Wir holen die Polizei!“ Lecorte schaut verzweifelt: „Sie hören mir nicht zu!“ Einer aus der Gruppe fragt: „Und was machen wir jetzt?“ „Ich weiß es nicht“, Lecorte sieht ratlos aus.

Dann kommen zwei Männer in dunklen Anzügen die Treppe runter – Herr Thum und Herr Scholing-Darby: „Guten Tag, wir sind von der Abteilung Regierungsbeziehungen und haben ein kleines Büro da oben.“ Lecorte reicht ihnen die Hand: „Sie wissen ja, worum es geht. Leider will sie nicht mit uns drüber sprechen.“ Er zeigt auf die telefonierende Gabriele-Vera Heider. Scholing-Darby nickt kurz, dann erzählt auch er etwas von der IAA, von Presseterminen und schwerer Erreichbarkeit. Lecorte lässt nicht locker. Schließlich einigt man sich. Scholing-Darby und Thum suchen noch einmal nach einem Verantwortlichen. Thum drückt Lecorte noch eine Broschüre in die Hand. Titel: „Global Compact – Aufbruch, Verantwortung, Zukunft“.

Inzwischen werden die Zelte der Besetzer besetzt – von Kindern einer Neuköllner Grundschulklasse. Gabriele-Vera Heider telefoniert noch immer: „Ich kriege niemanden.“ Die Lippen der Geschäftsführerin sind jetzt nicht mehr zusammengepresst: „Aber Sie können mir ihren Fragenkatalog geben. Wir werden versuchen, ihn beantworten zu lassen.“ Lecorte schaut unter seiner Mütze hervor: „Sie haben doch unser Flugblatt bekommen. Da steht alles drauf.“

Die Geschäftsführerin zieht einen zerknüllten Zettel aus ihrem Hosenanzug: „Das ist alles? Nichts Ausgearbeitetes?“ „Nein“, Lecorte vergräbt die Hände in den Taschen seiner Schnürhose, „das reicht doch. VW wird uns die Fragen sowieso nicht beantworten.“ Heider lächelt: „Na, immer positiv denken.“

Die meisten der Angestellten sind verschwunden. Nur die Wachmänner stehen noch da. Dazwischen reichen VW-Bedienungen den Besetzern kalte Getränke – Apfelsaft, Sprudel und Orangensaft. Schließlich kommen Thum und Scholing-Darby zurück – mit einer früheren Stellungnahme der VW-Zentrale zu den Landbesetzungen in Brasilien und der Zusage, sich um einen Gesprächspartner zu kümmern. „Aber erreichen konnten wir keinen“, sagt Scholing-Darby, „Sie wissen ja, die IAA.“ Und dann fragt er nach: „Glauben Sie wirklich, dass sie mit ihrer Aktion in Brasilien etwas erreichen?“ Lecorte zieht die Augenbrauen hoch: „Sie wissen doch, wie es ist. Ohne öffentlichen Druck läuft gar nichts.“ Scholing-Darby nickt: „Stimmt schon. Klappern gehört zum Geschäft.“ Lecorte gibt Thum seine E-Mail-Adresse, der will ihm dafür seine Visitenkarte reichen. Lecorte lehnt ab: „Ich denke nicht, dass Sie mir ihre privaten Daten geben wollen, oder? Mir reicht auch die Telefonnummer.“ Thum ist dankbar: „Ja, da haben Sie ganz Recht.“

Nach einer Stunde ist alles vorbei. Die Besetzer rollen die Zelte zusammen. Lecorte ist zufrieden: „Wir haben herausgeholt, was geht.“ RUDI NOVOTNY