: Der Meisterernstler
Theodor Wiesengrund und der Humor: Was würde Beckenbauer zu Adorno sagen?
Sein Konterfei, verfeinert durch ein gekritzeltes Leninbärtchen, ziert zwar seit ihrem Bestehen die komiktheoretische Rubrik „Hans Mentz“ in der Titanic; aber dass unser derzeit in nahezu vatikanischen Dimensionen abgefeierter First-Class-Jubilar Theodor W. Adorno ein inniges Verhältnis zu komischen Kunstwerken und zur Haltung des Humors gepflegt hätte, dürfte nicht eines der stichhaltigsten Urteile sein, das man über ihn fällen könnte.
Mir ist keine der aktuellen vier- oder fünfzehn Adorno-Biografien bekannt, und dennoch bin ich mir sicher: Es wäre, läse man sie, nirgendwo ein gescheiter Gedanke darüber zu finden, warum sich Adorno dem Komischen gegenüber so hartherzig zeigte. Außer an der Clownsfigur, wie sie im Aufsatz über Becketts „Endspiel“ vielfach erwähnt wird, hat der Meisterernstler kaum ein gutes Haar an komischen Gestalten gelassen. „Posse und Clownerie bis zu Chaplin“ waren ihm bei aller dunklen Ahnung, dass sich darin mehr artikulieren könnte als Scheinfreiheit, Regression und sublime Gewalt, Ausdruck der Unterwerfung, des autoritären Charakters, des Betrugs am Glück. „Gelacht wird darüber, dass es nichts zu lachen gibt“, heißt es schon in der Dialektik der Aufklärung, und trotz der (Partial-)Triftigkeit und aphoristischen Prägnanz eines solchen Verdikts scheint nur aus Adornos strikter Präferenz für den spätbürgerlichen Kunstbegriff heraus erklärlich, dass er zeitlebens den Humorhammer schwang. „Humor, das ist das Schlimmste!“, soll er gegenüber Horkheimer bemerkt haben, Lachen sei „bürgerlicher Sadismus“, Humor appelliere „ans deformierte Bewusstsein“.
Dabei äußert sich doch gerade im Lachen, ausgelöst durch eine Zeichnung, einen Romandialog, einen Schwank, ja selbst durch einige die dichte kompositorische „Textur“ (Adorno) lockernde Passagen in den Symphonien Beethovens, das Leibliche und Weltzugewandte, auf das Adorno auch dann pochte, wenn die steilsten erkenntnistheoretischen Scheinfragen zur Debatte standen. Darauf mag Eckhard Henscheid angespielt haben, als er – und damit bis heute im Grunde allein stehend – die Nähe zwischen Kritischer Theorie und komischer Kunst zu erhellen versuchte: „Was Horkheimer/Adorno als ‚Dialektik der Aufklärung‘ beschreiben, diese Analyse leistet in sozusagen komischer Optik und virtuos verkürzt ggf. auch ein ‚Schnuffi‘-Zeichenstrip von Gernhardt, in welchem der Held zwar allzeit Gutes wirkt, in dem aber eine ihn begleitende Maus im vierten Bildchen notorisch besoffen ist.“
Gelungene Komik ist nicht brutal, versöhnlerisch, vernebelnd, sondern wärmend, lichtend und vielleicht wirklich ein Instrument dessen, was man einmal „Ideologiekritik“ nannte. Und wenn sie das ist, dann ist sie geschmeidiger und womöglich gar feiner denn die meisten Beispiele begrifflich-analytischer Akrobatik.
Solche Spitzenleistungen reflexiver Gewandtheit demonstrierte Adorno in den Sechzigerjahren auch gern in den kulturindustriellen Institutionen Radio und Fernsehen. Das möchte ihm nicht zum Nachteil gereichen. Allerdings fanden es nicht wenige nicht unbedingt zum Lachen, dass er sich selbst mit Arnold Gehlen, dem alten Nazi, vor die Kamera hockte. Adorno soll sogar, behauptete Helmut Schelsky, „eine bis zum familiären Verkehr gehende Freundschaft“ zu dem „Bewunderer von Alfred Rosenberg“ (René König) gepflegt haben. Wie immer man derartige Antinomien in der dialektischen Luft zerstäubt – das Fernsehduell zwischen Adorno und Gehlen war teilweise von einer Komik getragen, die just Adorno für sich als Gewinn verbuchen konnte. Und wie der Frankfurter da, von unnachahmlichem geschmeidigem Ernst durchdrungen, die ängstlichen Augen auf die Zettel auf den Knien gerichtet, seinem jovialen, mit Resthitlerbärtchen versehenen Kontrahenten Hegel, Durkheim, Kant, Veblen und Gottfried Keller um die Ohren zwirbelte, das belegte die antiautoritäre Macht der Eleganz.
Erstmals, da Gehlen das „Ethos der Ehe“ beschwor, wischte ein Lächeln über Teddys Gesicht, wahrscheinlich, weil er an eine seiner jungen Blondinen dachte. Kaum mehr an sich halten konnte Adorno allerdings, als Moderator Alexander von Cube auf Gehlen einzuteufeln begann, weil dieser meinte belfern zu müssen: „Es gibt ja doch eine treue Pflicht zu außerrationalen Werten!“
Da streckte der gegenüber kauernde kleine Mann plötzlich den Oberkörper, wippte vor und zurück, strahlte wie ein ganzer Honigkuchen, und sogar ein winziger, spitzer Lacher oder Pruster war zu hören, und Adorno, das Bündel an Konzentration und Contenance, wirkte kurzzeitig wie ein von aller Last der intellektuellen Anstrengung befreiter Kindskopf. Zumindest hatte er den ekligen, lachhaften Gehlen jetzt, gegen Ende der Sendung, im Sack.
Sehr lustig ist aber freilich auch, dass am selben Tag wie Adorno, am 11. September, der zweitgrößte Deutsche des 20. Jahrhunderts geboren wurde: Franz Beckenbauer. Und der ließ vor ein paar Jahren die Hosen runter und bekannte demütig: „Wenn ich zum Beispiel einen Schopenhauer lese – ich verstehe ihn nicht.“ Ob er’s schon mal mit Adorno versucht hat, wäre eine ernsthafte Recherche wert.
JÜRGEN ROTH