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Archiv-Artikel

„Im Sinne des Vaterunsers“

Zum ersten Mal entschuldigt sich ein Mitglied der deutschen Regierung für das Massaker an den Herero. Damit kann ein Versöhnungsdialog beginnen

Wir haben Ihre Entschuldigung angenommen

AUS OKAKARARA ROLF-HENNING HINTZE

Die deutsche Entwicklungsministerin rang einen Moment lang um ihre Fassung auf der Gedenkfeier. Als sie am Samstag zu Beginn ihrer Rede auf die Frauen und Kinder der Volksstamms der Herero zu sprechen kam, die nach dem Vernichtungsbefehl General von Trothas vom November 1904 wie ihre Männer ebenfalls nicht zu schonen seien, schien ihr die Stimme zu versagen. Rund 70. 000 Herero waren vor hundert Jahren nach der Schlacht am Waterberg den Maßnahmen des deutschen Kolonialregimes zum Opfer gefallen. Sie waren umgebracht, ausgehungert oder in die Wüste getrieben worden, wo sie verdursteten.

Doch dann sprach Heidi Wieczorek-Zeul sehr deutlich jene Sätze, auf die die Herero seit Jahrzehnten gewartet hatten und die wie Balsam wirkten: „Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde.“

Sie wies darauf hin, dass es schon 1904 in Deutschland Gegner dieses Unterdrückungskrieges gegeben habe, und erwähnte mit Stolz, dass der damalige SPD-Vorsitzende August Bebel im Reichstag den Aufstand der Herero als gerechten Befreiungskrieg gewürdigt hatte. Dann folgte der lang ersehnte Satz eines deutschen Regierungsmitglieds, mit dem sämtliche Herero-Führer nach Äußerungen von Außenminister Joschka Fischer und dem deutschen Botschafter in Namibia, Wolfgang Massing, in diesem Jahr nicht mehr gerechnet hatten: die Bitte um Entschuldigung. Die Ministerin sagte: „Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen Vaterunsers um Vergebung unserer Schuld“, und fügte noch den Satz hinzu: „Ohne Entschuldigung für unsere Verbrechen und unsere Schuld kann es keine Versöhnung geben.“

Manche der rund 4.000 Zuhörer waren so perplex, dass sie das noch einmal geklärt haben wollten. Die Ministerin ging deshalb, als nach ihrer Rede die Herero-Übersetzung vorgelesen worden war, nochmals ans Mikrofon und sagte: „Alles, was ich in meiner Rede gesagt habe, war eine Entschuldigung für die Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden. Ich möchte das ganz klar machen, damit es kein Missverständnis gibt.“

Voll bewusst schien die Tragweite dieser Aussagen einem Teil der Zuhörer erst zu werden, als der nach der Ministerin sprechende Vertreter der namibischen Regierung, Landminister Hifikepunye Pohamba, das „gute Wort“ der deutschen Ministerin lobte und in feierlichem Ton sagte: „Ich möchte ihr versichern, dass wir ihre Entschuldigung angenommen haben.“ Pohamba ist Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei Swapo und voraussichtlicher Nachfolger des jetzigen Präsidenten Sam Nujoma.

Fast perplex wirkte der in einer blauen Militäruniform mit Goldlitzen erschienene Oberhäuptling der Herero, Kuaima Riruako. Er verwarf seinen ursprünglich geplanten Redetext , um ebenfalls zu erklären, er nehme die Entschuldigung der Ministerin an. Allerdings fügte er sofort hinzu, dass nun der Dialog beginnen müsse, „um die Sache in Ordnung zu bringen“.

Ohne Entschuldigung kann es keine Versöhnung geben

Mit „der Sache“ ist die Herero-Forderung nach Wiedergutmachung gemeint, die keineswegs fallen gelassen wird. Riruako hatte aber immer wieder erklärt, dass er eine Verhandlungslösung bevorzugt. Jetzt sind zum ersten Mal die Voraussetzungen für einen Dialog in gleicher Augenhöhe gegeben.

Am Nachmittag, als die Gedenkfeier in Okakarara teilweise den Charakter eines Volksfests annahm – auch wegen der immer wieder auftauchenden Reitergruppen in Uniformen ähnlich der ehemaligen deutschen „Schutztruppe“ –, hatte die Ministerin noch eine Pflicht besonderer Art zu erfüllen. An jener Stelle, an der in einem Jahr eine Statue Samuel Mahareros, des Führers des Aufstands gegen die Deutschen, errichtet werden soll, legte sie unter einem Ölgemälde, das den Häuptling in Lebensgröße darstellt, einen Kranz nieder. Die Schleife trägt eine Aufschrift in Englisch („Forgive us our trespasses“) und eine in Deutsch: „Wir bitten um Vergebung für unsere Schuld“.

Namibias früherer Botschafter in Brüssel, Zedekia Ngavirue, erinnerte in einer Rede unter dem nächtlichen Sternenhimmel an den Erlass Nr. 151 Kaiser Wilhelms II. aus dem Jahr 1905, mit dem die Herero ihr gesamtes Landes und Viehs für verlustig erklärt wurden. Ngavirue sagte, die Forderung nach Wiedergutmachung sei eine „gerechte Sache“, die im ganzen Land Unterstützung finde, auch bei vielen angesehenen deutschsprachigen Namibiern. Für Deutschland, so der ehemalige Diplomat, würde Wiedergutmachung „das Kapitel der damaligen Untaten ehrenvoll beenden“.