piwik no script img

Archiv-Artikel

„Klares Ziel ist der Sturz Allendes“

betr.: „Verrat in Santiago“ von Heike Haarhoff, taz.mag vom 6. 9. 03

„Die Legende sagt, dass die USA das Terrorregime ermöglichten. Neue Quellenfunde belegen: es war alles ganz anders“ – Für mich, der ich in Chile nicht nur drei Monate 30 Jahre nach dem Putsch, sondern das ganze Allendejahr 1972 in Chile war, der ich nicht auf neue Quellen angewiesen bin, sondern den Prozess und die begleitenden Umstände hautnah miterlebt habe, verschlägt der Artikel etwas die Sprache. Jenseits aller „neuen Quellenfunde“ ist inzwischen einiges unter anderem durch Untersuchungskommissionen des US-Kongresses und chilenische Gerichte untersucht und belegt, also Geschichte. Aktenkundig ist zumindest Folgendes:

Henry Kissinger, damals Sonderberater von Richard Nixon, hatte schon vor den Wahlen 1970 vor Journalisten erklärt: „Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass ein Machtantritt Allendes keine schwer wiegenden Probleme für uns selbst mitbringen würde, und müssen entsprechend handeln.“ Als die Wahlen dann trotz der von ITT in den Wahlkampf eingesetzten Million Dollar anders ausgingen als erwartet, wurde gehandelt: ITT, über seinen Direktor McCone eng verzahnt mit der CIA – von 1961 bis 1965 war er selbst CIA-Chef – legte dem Weißen Haus, Kissinger und dem CIA-Chef Helms im Oktober 1971 ein 18-Punkte-Programm zum Kampf gegen die Unidad Popular vor. Stufenweise sollte danach das Chaos organisiert und der Putsch generalstabsmäßig vorbereitet werden. Daraus wurde das Drehbuch umfangreicher Aktionen, vom Einfrieren aller Kredite, Beschlagnahme von Kupferlieferungen, Morden wie dem am verfassungstreuen Chef des Generalstabs General René Schneider, organisierten politischen Streiks usw. (Der politische Streik der Fuhrunternehmer 1972 war keineswegs „ein Aufstand des bürgerlichen Chile“, wie Frau Haarhoff wohl „neueren Quellen“ entnimmt, er wurde von der US-Botschaft organisiert und finanziert und zwar so großzügig, dass in den Streiktagen so viel Dollars auf den Markt geworfen wurden, dass der Dollarkurs sich zeitweise sprunghaft erholte).

„Beide Supermächte können mit Allendes ‚Sozialismus in Freiheit‘ nichts anfangen“, ist richtig, macht aber die Konsequenzen für das freie Chile zu wenig deutlich: Der unter Allende praktizierte Sozialismus mit allen liberalen Freiheiten, totale Presse-, Fernseh- und Radio-Redefreiheit, war gerade wegen dieser Freiheiten den Ideologen des Kalten Krieges ebenso unerträglich wie den Kalten Kriegern im Osten. Sie waren sich einig in der Befürchtung, dass ein gelungenes Chile-Experiment in den jeweiligen „Hinterhöfen“ Schule machen könnte. Das musste unter allen Umständen und von beiden vermieden werden. Die USA hatten damit völlig freie Hand für jede Art von Intervention und nutzten das.

Wichtig ist festzuhalten, dass ein sozialistisches Chile vor diesem Hintergrund, vor der Entschlossenheit der Großmacht USA, bei der wirtschaftlichen Verzahnung der chilenischen mit der US-Wirtschaft über die US-kontrollierten Konzerne (Kennecott, Ananconda, ITT), ohne alle Bündnispartner und bei einer starken fünften Kolonne im Lande einfach keine Chance hatte. Und das ganz unabhängig von der Politik der Regierung, ihren Erfolgen oder ihren Fehlern. Wenn man das schnell als „Legende“ beiseite legt und sich stattdessen auf die Fehler der Unidad Popular konzentriert, die sie zweifellos begangen hat, und, wie die Autorin zu dem Schluss kommt, die Fehler der Allende-Regierung hätten das chilenische Experiment zum Scheitern gebracht, die UP hätte den Putsch und was danach kam selbst verschuldet, so ist das auch eine Beleidigung der unzähligen Opfer der Diktatur. […]

DIERK VON DRIGALSKI, Marburg

Ihre Behauptungen, dass der US-Geheimdienst CIA nicht der Drahtzieher des Umsturzes war, und dass aus heutiger Sicht der Sturz der Regierung Allendes eher wie ein innerchilenischer Gewaltakt erscheint, sind so alt wie die CIA-Versuche, eben diese Rolle bei der Entmachtung Allendes zu vertuschen. […]

Bereits 1970 wurde auf Initiative von Henry Kissinger in Langley, Virginia, ein US-Team installiert, das die Aufgabe hatte, eine zweigleisige Politik für Chile zu entwickeln. Und zwar eine vorgeschobene diplomatische und eine Strategie der Destabilisierung durch Entführung und Ermordungen chilenischer Militärs und Politiker, die einen Militärputsch provozieren sollten. Diese Entscheidung fiel nach mehreren Treffen zwischen dem Präsidenten von Pepsi-Cola, Donald Kendall, David Rockefeller von der Chase Manhatten Bank, CIA-Direktor Richard Helms und dem damaligen Außenminister Kissinger. Der illustre Kreis besiegelte faktisch in Übereinstimmung mit dem damaligen US-Präsidenten Nixon das Schicksal der Demokratie in Chile. In einem Telegrammwechsel zwischen der CIA in Santiago und der Gruppe Kissingers für verdeckte Operationen wird dies anschaulich dokumentiert. Dort heißt es: „Weiterbestehendes klares Ziel ist der Sturz Allendes durch einen Putsch. Es wäre sehr wünschenswert, wenn dies noch vor dem 24. Oktober (1970) zustande käme, doch Bemühungen in dieser Hinsicht werden über dieses Datum hinaus unvermindert verfolgt. Wir werden fortfahren, mit aller nötigen Kraft auf dieses Ziel hinzuarbeiten, und alle nötigen Ressourcen dafür nutzen. Es ist absolut notwendig, dass diese Aktionen verdeckt und unter größten Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden, damit die US-Regierung und die amerikanische Beteiligung verborgen bleibt.“

[…] Das komplette Bild amerikanischer Drahtzieherschaft ergibt sich aus den Enthüllungen über die Operation Condor, eine geheime und von den USA gebilligte Absprache zwischen den Militärdiktaturen der Südhalbkugel. Kissinger, der sich zur Zeit des Sturzes von Allende 1973 vor dem US-Senat einem Bestätigungsverfahren als Außenminister unterzog, behauptete dort, dass die Regierung in Washington nicht am Staatsstreich beteiligt war. Demgegenüber aber heißt es im Lagebericht Nr. 2 der Navy Section der United States Military Group in Chile, der vom US-Marineattaché Patrick J. Ryan verfasst war, zwischen ihm und den putschenden Offizieren habe es enge Beziehungen gegeben. Des Weiteren bejubelt Ryan den 11. September 1973 als „unseren D-Day“ und bemerkt mit großer Genugtuung, dass der chilenische Staatsstreich nahezu perfekt war.“ KOSTAS KIPUROS, Leipzig

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.