: Was wollte die Natur?
Jetzt hat auch Österreich seine Debatte um die Homoehe. Sehr zum Leidwesen des Kanzlers Wolfgang Schüssel wurde sie ausgerechnet von einem ÖVP-Parteifreund losgetreten
AUS WIEN RALF LEONHARD
Wolfgang Schüssel hätte sich die Spätsommerdebatte liebend gerne vom Halse geschafft. Die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist für den Christdemokraten kein Thema. Doch die Diskussion bleibt an der Partei kleben wie ein ausgespuckter Kaugummi an der Schuhsohle. Dabei zeigt sich die ÖVP, die sich gerne als moderne, weltoffene Partei darstellt, als Hort jenes verkrampft katholischen Provinzialismus, den ihr ihre Gegner zur Linken immer vorwerfen. Jetzt wird sich im September wohl doch das Parlament mit der Sache befassen müssen.
Losgetreten wurde die Debatte nicht von den Grünen oder der Homosexuelleninitiative HOSI, sondern von einem Parteifreund, dem steirischen ÖVP-Fraktionschef Christopher Drexler, einem bisher nur regional bekannten Mann. Das Sommerloch bietet bekanntlich Politikern aus der zweiten und dritten Reihe die Chance zur Profilierung. Tatort diesmal: die Wochenzeitung Grazer Woche. Drexler vertrat dort Anfang August die Meinung, die rechtliche Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften gehöre abgestellt. Österreich habe in gesetzlicher Berücksichtigung von nicht heterosexuellen Partnerschaften enormen Aufholbedarf. Zur Überraschung seiner Partei hat er selbst bereits einen Gesetzesentwurf über die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ formuliert. ÖVP-Spitzenpolitiker, die in der Sommerfrische vom alarmierenden Begehren des Provinzpolitikers aufgestört wurden, zeigten sich wenig begeistert. Nicht alle deklarierten sich so offenherzig wie der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Hiesl, der den Oberösterreichischen Nachrichten anvertraute, warum er dagegen sei: „Das hat die Natur anders gewollt.“
Generalsekretär Reinhold Lopatka tat, was seine Aufgabe ist: abwiegeln. Er schlug vor, die steirische Initiative am nächsten Parteivorstand hinter verschlossenen Türen vorzubringen: So würde sie lautlos sterben. Doch die Debatte hatte sich bereits verselbständigt. Viele Funktionäre wollten den Hinweis aus der Parteizentrale nicht hören. Als erster preschte Johannes Hahn vor, der jugendliche Obmann der Wiener ÖVP. Hahn entwickelte im Interview mit dem Standard konkrete Lösungsmöglichkeiten: „Die eingetragene Partnerschaft finde ich einen brauchbaren Weg. Es ist ein sensibles Thema, weil die Gesellschaft mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs ist. Im Endergebnis wird man sicher zu einer vollen Gleichbehandlungen kommen, wann immer das sein wird.“ Immer mehr ÖVP-Leute, denen das Gesellschaftsbild ihrer Partei zu verzopft ist, meldeten sich in Interviews zu Wort. Da konnte selbst Nationalratspräsident Andreas Khol, ein katholischer Ideologe, der noch immer für den Gottesbezug in der Verfassung kämpft, nicht gänzlich abblocken. Er plädierte für die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die eine Parteilinie erarbeiten soll. Diese Lösung wurde inzwischen als offizielle Position ausgegeben.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hätte auch das gerne verhindert. Er will sich überhaupt nicht äußern. Journalisten, die sich nach dem Grund für die Diskussionsverweigerung erkundigten, wurden vom Kanzler abgefertigt wie aufsässige Kinder von einer genervten Mutter: „Darum.“
Die offizielle Haltung der ÖVP zum Thema Homosexuelle ist so alt wie paradox: „Keine Diskriminierung, aber auch keine Gleichstellung.“ Obwohl die verschiedensten Lebens- und Zusammenlebensformen heute gesellschaftlich weitgehend akzeptiert sind, halten die Christdemokraten am Ideal der traditionellen Familie fest. Nach herrschender Gesetzeslage sind homosexuelle Partner im Erbrecht, Mietrecht, Adoptionsrecht oder auch beim Einspruchsrecht gegen Unterbringung in psychiatrische Anstalten gegenüber Eheleuten oder heterosexuellen Lebensgefährten benachteiligt. Gegen diese Diskriminierung kämpfen Interessengruppen, aber auch SPÖ und Grüne seit langem an.
Die Grünen wollen, wenn das Parlament im September aus den Sommerferien zurückkehrt, die Schaffung eines Zivilpaktes, kurz ZIP, durchsetzen. Abgeordnete Ulrike Lunacek, selbst bekennende Lesbe: „Österreich hinkt im europäischen Vergleich nach.“ In neuen EU-Staaten seien derartige eingetragene Partnerschaften längst eingeführt worden. Der ZIP, der hetero- wie homosexuellen Paaren offen stehen und vor dem Standesamt untermauert werden soll, würde die völlige rechtliche Gleichstellung bringen, inklusive Adoptionsrecht. Ihre Partei will diesmal nicht nachlassen: „Die ÖVP soll sich bewegen.“ Schließlich gebe es auch bei ÖVP-Wählern und Funktionären Homosexuelle.