Heute noch Gläubiger, morgen grundsolide

Jean-Claude Trichet, der zukünftige Chef der Europäischen Zentralbank, verteidigt sich im Europaparlament

BRÜSSEL taz ■ Sichtlich entspannt beantwortete der Kandidat gestern die Fragen der Abgeordneten im Wirtschafts- und Währungsausschuss. An peinliche Interviews hat sich Jean-Claude Trichet in den letzten drei Jahren gewöhnt. Wegen des Verdachts, Bilanzen manipuliert zu haben, stand der französische Notenbankchef in Paris vor Gericht. Nach seinem Freispruch kann er nun – voraussichtlich Anfang November – Wim Duisenberg als Chef der Europäischen Zentralbank nachfolgen.

Die Ausschussmitglieder stimmten gestern mit großer Mehrheit dafür, das Plenum des Parlaments wird Ende Sepember wohl ebenfalls keine Einwände erheben. Natürlich drehte sich bei den Abgeordneten auch gestern wieder alles um die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem Stabilitätspakt? Als oberster Banker eines Landes, das mit einer Neuverschuldung von vier Prozent derzeit das schwärzeste Schaf unter Europas Schuldenmachern ist, muss sich der Franzose skeptische Fragen gefallen lassen. Haushaltsdisziplin, Preisstabilität und Wirtschaftswachstum seien kein Gegensatz – diese Kernaussage Trichets lässt sich aus der gestrigen Fragestunde und aus den Antworten auf die über dreißig schriftlichen Fragen herausfiltern, die ihm die Abgeordneten gestellt hatten. „Der Stabilitätspakt ist von allen Mitgliedsländern einstimmig beschlossen worden. Solange er in Kraft ist, müssen sich alle daran halten. Ich denke, dass das ihm zu Grunde liegende Konzept Wachstum fördert und Arbeitsplätze schafft.“ Kritische Kommentare zur Haushaltspolitik Frankreichs und Deutschlands liess sich der Neuling im Amt aber nicht entlocken. Es sei nicht Aufgabe der EZB, sondern der Kommission, über den Pakt zu wachen.

Sein Vorgänger Duisenberg war am Vortag beim Abschied vor dem Währungsausschuss wesentlich deutlicher geworden: „Der Mangel an Haushaltsdisziplin – und besonders der Mangel an einer klaren, mittelfristig ausgerichteten Konsolidierungsstrategie – ist ein Faktor, der die Wachstumsaussichten der Eurozone beeinträchtigt“, hatte der Niederländer gewarnt. Gleichzeitig hatte die EU-Kommission erklärt, das Wachstum werde wohl nicht – wie zunächst geschätzt – ein Prozent sondern für das laufende Jahr nur 0,5 Prozent betragen.

Der neue Chef Trichet zieht es dagegen vor, seinen Blick zunächst auf das Positive zu richten. Im Bewusstsein der Bürger werde der Euro so vertrauenswürdig empfunden wie die ehedem stabilsten Währungen der EU.

Der französische Europaabgeordnete William Abitbol wollte diese Hymne an den Euro nicht gelten lassen: Es seien die Nicht-Euro-Länder, die derzeit die besten Wirtschaftsdaten vorweisen könnten. DANIELA WEINGÄRTNER