Das Spiel mit dem Bau

Erfurter Hoffnungen: Ist das neue Opernhaus erst eröffnet, ordnet sich auch Thüringens Theaterlandschaft neu

Modell Erfurt: In der Oper „Bundesliga“, beim Theater Radikalverzicht

von RALPH BOLLMANN

Das hat es seit den Achtzigern nicht mehr gegeben. Seit der Dresdener Semperoper 1985 und dem Essener Aalto-Theater 1988 wurde in Deutschland kein großes Opernhaus mehr eröffnet. Jetzt leistet sich die Thüringer Landeshauptstadt Erfurt einen neuen Rahmen für die opulenteste aller Künste. Der gewaltige Kasten aus Stahl und Glas am Fuß des historischen Dombergs wird heute Abend mit einer Uraufführung eröffnet: Der Berliner Komponist Peter Aderhold hat eigens für diesen Zweck eine Oper über den Reformator Martin Luther geschrieben, der einst als Augustinermönch in Erfurt lebte. Mit dem neuen Haus, verspricht Intendant Guy Montavon, werde Erfurt „in der Bundesliga“ des Musiktheaters mitspielen. Koproduktionen mit dem Nationaltheater Prag, der Oper Monte Carlo und der Münchener Theaterakademie sind längst besiegelt.

Freilich ist nicht allen kunstbeflissenen Erfurtern so festlich zumute wie dem umtriebigen Opernchef. Im Sommer erlebte die Stadt ein Kulturereignis, das weitaus weniger Glanz verbreitete. Mit der Tragikomöde „Noch ist Polen nicht verloren“ verabschiedete sich das Ensemble des Erfurter Schauspiels am 14. Juni von seinem Publikum. Seither ist Erfurt die einzige deutsche Landeshauptstadt ohne eigenes Sprechtheater. Völlig offen ist auch, wie Intendant Montavon den ambitionierten Opernbetrieb im Alltag bestreiten will. Mit nur 59 Musikern spielt das bescheidene Erfurter Orchester zumindest der Größe nach auf Provinzniveau, während die Staatskapelle im benachbarten Weimar immerhin hundert Köpfe zählt.

Wie Erfurt halten es seit Jahren viele Städte in Deutschland: Erst lassen Kulturpolitiker für teures Geld repräsentative Gebäude entweder neu errichten oder aufwändig sanieren – und dann reicht das Geld nicht mehr fürs Bespielen (siehe auch Interview unten). Spitzenreiter in dieser Disziplin ist die finanzschwache Hauptstadt Berlin. Dort ist selbst bei der renommierten Stiftung Preußischer Kulturbesitz, von Bund und Land getragen, das Missverhältnis offenkundig. Während die öffentliche Hand dreistellige Millionenbeträge in den Wiederaufbau der Museumsinsel steckt, fällt der Etat für Ankäufe und Sonderausstellungen höchst bescheiden aus. Projekte wie die laufende Ausstellung über „Kunst in der DDR“ kann die Stiftung nur finanzieren, wenn sie außenstehende Geldgeber findet – in diesem Fall die Kulturstiftung des Bundes.

Das Desaster hat vielfältige Ursachen. Da mag es, gerade in der Hauptstadt, manche Verbindung von Politik und Baubranche geben. Da lässt sich beim Wähler mit einem schmucken Neubau mitten in der Stadt mehr Eindruck schinden als mit einer gelungenen Aufführung, die nur ein paar tausend Zuschauer sehen. Da ist es angenehm, dass Ausgaben für Bauprojekte haushaltstechnisch als Investitionen gelten – mit dem schönen Effekt, dass der Finanzminister im Gegenzug höhere Kredite aufnehmen darf. Vor allem aber flattert die Rechnung für solch ein Renommierprojekt nur einmal auf den Tisch, während die Löhne und Gehälter der Theater- oder Museumsmitarbeiter Monat für Monat, Jahr für Jahr aufs Neue zu begleichen sind.

Denn nur auf den ersten Blick wirkt die Summe von 60 Millionen Euro beeindruckend, die der Erfurter Neubau gekostet hat. Doch verschlingt der laufende Betrieb des Theaters, der noch dazu überwiegend von der klammen Kommune aufgebracht werden muss, fast 20 Millionen Euro, und zwar jedes Jahr. Was den Betrieb so teuer macht, sind vor allem die Kosten fürs Personal, oder besser: für den fest angestellten Teil. Während Sänger oder Schauspieler, ja selbst die Dirigenten an den kleinen und mittelgroßen Bühnen für höchst bescheidene Gagen agieren und noch dazu jederzeit kündbar sind, werden Orchestermusiker, Techniker oder Verwaltungspersonal nach den Richtlinien des Bundesangestelltentarifs entlohnt – und zwar lebenslang. Mit der kuriosen Folge, dass es in Thüringen zwar noch immer ein knappes Dutzend teurer Sinfonieorchester gibt, aber nur noch eine Hand voll preisgünstiger Schauspieltruppen.

Um diesem Wahnsinn zu entkommen, hat der Intendant in der benachbarten Klassikerstadt sein „Weimarer Modell“ ausgeheckt – und mit seinen rund 300 Mitarbeitern einen Lohnverzicht bis zum Jahr 2008 ausgehandelt. Der Beifall der örtlichen Theaterfreunde war ihm gewiss, konnte ihr vielgerühmtes Deutsches Nationaltheater doch nur so vor der Fusion mit dem unbekannten Theater der verhassten Nachbarstadt bewahrt werden. Sollen die Erfurter doch selbst sehen, was sie mit ihrem Neubau machen.

Und manchmal hat die Vorliebe fürs Bauen ja auch Methode. Wenn in Erfurt die Oper erst mal in Betrieb ist, so mag manch ein Politiker in der Landeshauptstadt denken, dann können die Weimarer die Fusion mit ihrem Renommierorchester nicht mehr dauerhaft verweigern.