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Archiv-Artikel

Jetzt auch noch Jugendhilfe-Chaos

Verwaltungsgericht untersagt Bezirk Bergedorf neues Bezahlungssystem für Erziehungshilfe. Sozialbehörde empfielt jetzt den übrigen Bezirken, die Sache auf Eis zu legen. GAL-Politikerin Blömeke: „Das Chaos hätte vermieden werden könnnen“

von KAIJA KUTTER

Weitgehend unbemerkt im Schatten von Schulmisere und Kita-Chaos bereitete Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) seit zwei Jahren eine radikale Reform der Finanzierung der Jugendhilfe vor, die jetzt im Fiasko zu enden droht. So untersagte das Hamburger Verwaltungsgericht am 5. August mit einer „einstweiligen Anordnung“ dem Bezirk Bergedorf, das just dort eingeführte Finanzierungsmodell weiter anzuwenden, weil ein Träger sich benachteiligt sah und geklagt hatte. In der Furcht vor weiteren Klagen empfahl jetzt die Fachabteilung der Sozialbehörde allen sieben Bezirken, die Sache zu stoppen.

„Die Bezirke und Jugendhilfeträger wissen jetzt nicht, wie sie ihr Geld bekommen“, kritisiert die GAL-Abgeordnete Christiane Blömeke. „Es gibt ein Chaos, das hätte vermieden werden können.“ Denn Juristen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hätten bereits im Vorjahr auf einer Veranstaltung auf die „juristische Unzulässigkeit“ hingewiesen – im Beisein von Behördenvertretern.

Darum gehts es: Der Etat der „Hilfen zur Erziehung“ war immer schon ein Sorgenkind der Haushälter, weil er oft überzogen wurde, denn auf diese Hilfe haben Kinder und Familien in Schwierigkeiten einen Rechtsanspruch. Zu unterscheiden sind rund 3.300 stationäre Hilfen in Heimen und Jugendwohnungen von den rund 2.200 „ambulanten Hilfen“, die Sozialarbeiter in den Stadtteilen vor Ort durchführen. Um die Kosten der ambulanten Hilfen in den Griff zu bekommen, beschloss Schnieber-Jastram, künftig nicht mehr jeden Einzelfall stundenweise zu finanzieren. Stattdessen sollte es mit Trägern „regionale Versorgungsverträge“ geben. Ihnen wird eine fixe Finanzierung für Personal- und Sachkosten bereitgestellt, dafür übernehmen sie die Gewehr und das Risiko, alle hilfsbedürftigen Fälle des jeweiligen Stadtviertels zu versorgen.

Im Bezirk Bergedorf hatten fünf Träger den Zuschlag bekommen. Geklagt hatte die Einrichtung „Pädagogium“ der Spectrum GmbH, die nicht berücksichtigt wurde. „Es gibt für eine solche Auswahlentscheidung keine Rechtsgrundlage“, erklärt der Anwalt Rüdiger Meier, der die Vertretung übernahm. Denn das Sozialgesetz ermächtige die Stadt nicht zu einer solchen Vorauswahl. So habe auch das Gericht in seiner Begründung erklärt, dass die nicht berücksichtigten Träger in ihrem „Grundrecht auf freie Berufsausübung“ beeinträchtigt seien.

„Wir haben gegen die Anordnung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt“, erklärt Behördensprecherin Anika Wichert. Da die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) hinter diesem neuen Modell stehe, sehe sie „gute Chancen“, es weiter umsetzten zu können.

„Rein fachlich bergrüßen wir die Sozialraumorientierung“, betont denn auch Marita Block vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. „Aber dass dies verknüpft wird mit einem Finanzierungskonzept, das zu Einsparungen führen soll, damit haben wir ein Problem.“ So würden nur 80 Prozent des Etats für ambulante Hilfen in die Bezirke gegeben, was mit den übrigen 20 Prozent geschehe, sei „nicht klar“. Auch habe der Verband von Anfang an „große Bedenken“ gehabt, ob die Sache „rechtlich haltbar“ sei.

Der Jurist Meier hält nun sogar den Gang der Behörde vors OVG für durchaus „riskant“. Denn sollte diese zweite Instanz die Anordnung bestätigen, wäre das Modell bis zur abschließenden Klärung durch das Bundesverwaltunsgericht „über Jahre aufs Eis gelegt“.