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Archiv-Artikel

Unscharfe Begriffe

betr.: „Die Gesellschaft ohne Eigenschaften“ von Ludger Heidbrink, taz vom 9. 8. 04

„Die Gesellschaft, darin liegt das Hauptproblem, ist zu einem System ohne Eigenschaften geworden, an dem jede Kritik abprallt“, sagt L. Heidbrink. Hübsch formuliert, aber so dünn und substanzlos, dass mir die Tränen kommen. Populäre Begriffe wie „Ellenbogengesellschaft“ oder „Zwei-Drittel-Gesellschaft“ beschreiben Eigenschaften dieses Systems, die auch von den „schweigenden Intellektuellen“ in Kultur und Wissenschaft wahrgenommen werden. Der Text zeigt einmal mehr, dass Philosophie offensichtlich mit unscharfen Begriffen auskommen muss, um ihr Überleben zu sichern.

Klar, die Bild-Zeitung gehört nicht zu den Intellektuellen, scheint aber schneller als mancher Neo wahrzunehmen, dass die herrschende Kamarilla aus Politik und Großunternehmern durch ihre Politik der Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung den von Heidbrink ersehnten Prozess der Diskussion um die Bedürfnisse der Gesellschaftsglieder herbeizaubert. Montagsdemos und alternative Parteien sind z. Zt. das Symptom für den Bewusstwerdungsprozess. Bei Apologeten des Schmerzes, wie Heidbrink einer ist, frage ich mich, wohin er wirklich will: Vielleicht doch endlich zu einer richtigen deutschen Revolution? WILFRIED BÜNTZLY, Hamburg

Wie wär’s mit dem Titel „Linke ohne Eigenschaften“? Linke Populisten, die tönen, „Gesundheit ist keine Ware“ oder „Bildung ist keine Ware“, haben nämlich ihren Marx nicht richtig gelesen.

Denn wenn menschliche Arbeit Kapital, also „Ware“ ist, sind es auch die durch menschliche Arbeit erbrachten Dienstleistungen. Die Frage ist allein, wer diese Leistungen finanziert – und, wichtiger noch, wer daran verdient. Im konkreten Fall sind es weniger die überbezahlten Spitzenmanager, sondern vielmehr Millionen Beamte und Angestellte, die auf eine möglichst bürokratische Organisation unseres Sozialstaats angewiesen sind – schon aus Gründen der Arbeitsplatzsicherheit. Eine Neuordnung aller Bildungs- und Sozialleistungen im Sinne von Angebot und Nachfrage würde zwar einen enormen Effizienzgewinn bedeuten und viele neue Arbeitsplätze in den Bereichen Bildung und Gesundheit schaffen. Aber sagen Sie mal einem Angestellten einer von 200 bis 300 gesetzlichen Krankenkassen, dass eine einzige davon in Deutschland genügen würde.

DANIEL SUNNUS, Hamburg