Pingen in der Grauzone

Per „stiller SMS“ vom Computer aus kann die Polizei seit gut einem Jahr Straftäter auf bis zu 50 Meter genau orten. Der solcherart Angesimste merkt die Handy-Botschaft nicht. Juristen, Datenschützer und Politiker finden das nicht in Ordnung

In Neumünster wurde mit dem „Ping“ vor kurzem sogar ein Mörder geortet

aus HannoverKAI SCHÖNEBERG

Schöne neue Handy-Welt. Das dachte sich auch der Bremer Uwe Picard, als er jüngst folgende SMS verschickte: „Begeben Sie sich sofort zur nächsten Polizeidienststelle und stellen Sie sich. Uwe Picard, Staatsanwalt.“ Der Empfänger der Botschaft, ein Mörder, der nicht vom Freigang zurückgekehrt war, gehorchte tatsächlich.

Handys lassen sich seit gut einem Jahr noch einfacher zur Strafverfolgung einsetzen: per „stiller SMS“. Da merkt der Angesimste nicht mal, dass er eine Botschaft – einen „Ping“ – erhält. Die Polizei aber kann ihn in einem Umkreis von bis zu 50 Metern dingfest machen. Auch, wenn er gar nicht telefoniert, bei „Gefahr im Verzug“ sogar ohne Anordnung des Richters – einfach vom Computer aus.

Datenschützer, Juristen und Politiker sind erbost. Und das nicht erst, seit herauskam, dass in Baden-Württemberg selbst Unfallflüchtige per Spitzel-SMS ausfindig gemacht wurden. Er habe „große Zweifel, dass die SMS-Ortung rechtmäßig ist, doch noch überprüfen wir die Details“, sagte der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka.

Andere haben bereits geprüft. Die Gesetzeslage decke das „Pingen“ nicht – auch nicht bei schweren Straftaten – betont Ralf-Briese, Justiz-Experte der niedersächsischen Grünen. „Da wird das Pferd von hinten aufgezäumt: Zuerst wird eine Verbindung erstellt, dann der Benutzer geortet – das gibt die Strafprozessordnung einfach nicht her.“

Netzbetreiber wie Vodafone oder die Telekom müssen laut Gesetz bei Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ Auskunft über den Standort des Telefonierenden geben. Allerdings nur dann, so argumentieren Briese und andere, wenn das Handy benutzt wird – laut Gesetz darf nur die Telekommunikation potenzieller Straftäter überwacht werden. Dass eine gesetzliche Grundlage fürs „Pingen“ fehlt, bemängelt auch der Datenschützer des Bundes, Joachim Jacob.

Und dennoch erzeugen beim Bundesgrenzschutz entwickelte Programme in vielen Bundesländern eine heimliche Verbindung, ohne dass telefoniert wird – den Ping. Allein das Landeskriminalamt Niedersachsen hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 71 Mal „gepingt“. Auch in Schleswig-Holstein werden heimlich SMS verschickt, um den Standort von Straftätern zu ermitteln. „Häufig lassen wir parallel zu Abhöraktionen einen Ping los“, sagt der Sprecher des Landeskriminalamts in Kiel, Rudolf Gaspary. Bei 400 Lauschaktionen im Jahr 2002 habe die Polizei im hohen Norden 60 Mal heimlich Straftäter angesimst, in Neumünster damit sogar vor kurzem einen Mörder geortet. Auch in Bremen und Hamburg wird seit gut einem Jahr gepingt. Genaue Zahlen wollen die Behörden dort nicht preisgeben.

Die schöne neue Handy-Welt hat ihre Kehrseiten. Wer Angst vor Überwachung hat, dem gibt der Berliner Datenschutzbeauftragte Garstka einen schlichten Tipp: „Kein Mensch ist gezwungen, ein Handy zu benutzen.“