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Archiv-Artikel

„Nicht Untreue, sondern Übertreue“

Im Prozess um die hessischen Schwarzkonten definiert Manfred Kanther Untreue neu. Geld sei „gerettet“ worden

WIESBADEN taz ■ Die Herren kamen zeitversetzt. Eine halbe Stunde vor Prozessbeginn stürmte gestern Vormittag der ehemalige CDU-Finanzberater Horst Weyrauch im Eilschritt in den Saal 135 des Frankfurter Landgerichts. An seiner Seite der Frankfurter Prominentenanwalt Eberhard Kempf, der ebenso leutselig Fragen beantwortete wie sein Mandant. 15 Minuten später kam der 87-jährige frühere Schatzmeister der hessischen CDU, mit vollem Titel Casimir Johannes Ludwig Otto Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, sichtlich gebrechlich und auf einen Stock gestützt. Ex-Landesparteichef und -Bundesinnenminister Manfred Kanther marschierte kurz vor zehn Uhr erhobenen Hauptes und schweigsam zur Anklagebank. Wittgenstein und Kanther sind wegen Untreue, Weyrauch wegen Beihilfe dazu angeklagt.

Staatsanwalt Wolf Jördens rechnete die Millionenbeträge der Anfang 2000 öffentlich gewordenen hessischen CDU-Schwarzgeld-Affäre noch einmal auf D-Mark und Pfennig auf. Im Winter 1983 hätten die drei Angeklagten sich bei einer Besprechung verabredet, 20,8 Millionen Mark undeklarierten hessischen Parteivermögens, das bei der Frankfurter Metallbank lagerte, in die Schweiz zu schaffen, über das fürderhin nur sie allein die Verfügungsgewalt hatten, nicht aber die gewählten Gremien. Diese hätten auch nicht über die Kosten der Transaktion bestimmen können. Später sei das Geld in eine Stiftung mit dem Namen „Zaunkönig“ umgewandelt und nach Liechtenstein weitergeleitet worden. Dadurch sei der Partei Schaden entstanden und damit der Tatbestand der Untreue erfüllt.

Manfred Kanther, schneidig wie einst im Amte und als halte er eine Bundestagsrede, bestritt das in seiner Erklärung. Zum einen sei der CDU nicht geschadet worden, im Gegenteil. Das Geld sei gut angelegt gewesen, habe sich im Laufe der Jahre durch sparsames Wirtschaften, Zinsen und Wertpapierhandel gar verdoppelt, sei jederzeit nach Begehr der Parteigremien abrufbar gewesen, auch gegen seinen Willen. Den Ankauf der Wiesbadener Parteizentrale habe er zum Beispiel nicht für eine gute Anlage gehalten. Kanther klagte über eine fünf Jahre währende „Kampagne“ der Medien und der politischen Gegner gegen ihn, seine Familie und die CDU. Eben eine solche habe man schon 1983, zu Zeiten des „linkswütigen Kampfgeistes“, befürchtet und vermeiden wollen. In Erwartung der Änderung des Parteienfinanzierungsgesetzes und der öffentlichen Aufregung über die „Flick-Spenden-Affäre“ habe man, unliebsamer Öffentlichkeit oder Rückforderungen durch „verängstigte Spender“ vorbeugend, das Geld sicher verwahren wollen. Mehrfach betonte er: „Wir haben uns nicht mit einem einzigen Pfennig bereichert.“ Es sei für ihn „absurd“, dass er für seine Parteitreue vor Gericht stehe.

Weyrauch nannte das damalige Verhalten „nicht Untreue, sondern Übertreue“. Er selbst habe nur auf Anweisung gehandelt. Wittgenstein teilte mit kaum hörbarer Stimme mit, er sei ein schwer kranker Mann und werde von seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Das Verfahren wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.HEIDE PLATEN