: Arbeit, Alter, Angst und Lügen
von BARBARA DRIBBUSCH
Die Prognosen sind klar: Im Jahre 2020 ist etwa jeder dritte Erwerbsfähige älter als 50 Jahre, heute ist es nur jeder vierte. Die komfortablen Frührentenmodelle, von denen viele Endfünfziger oder Sechziger heute noch zehren, wird es dann nicht mehr geben. Die meisten Älteren werden gezwungen sein, sich auf dem Jobmarkt zu behaupten. Und da wird das Alter nicht als Vorteil gewertet. „Ein älterer Arbeitnehmer zu sein gilt auf dem Arbeitsmarkt nicht als Positiv-, sondern vielmehr als Risikofaktor“, heißt es nüchtern in einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Sozialexpertinnen Barbara Koller und Hannelore Gruber.
Zwar wird oft argumentiert, spätestens im Jahre 2020 herrsche Arbeitskräftemangel und dann würden es die Älteren leichter haben als heute. Laut einer Prognose des IAB beispielsweise könnte das Erwerbspersonenpotenzial ab 2010 um 600.000 pro Jahr sinken. Dieser Nachwuchsmangel wird aber nichts an der Bevorzugung der Jüngeren bei Neueinstellungen ändern. Die Personalchefs wünschen sich in ihren Unternehmen eine „Alterspyramide“, stellten Koller und Gruber fest. Das heißt, man respektiert Ältere zwar als altgediente Führungskräfte, bevorzugt bei Neueinstellungen aber Jüngere – allem Gerede vom Wert des „Erfahrungswissens“ zum Trotz.
Im Nebeneinander der Generationen sind künftig zwei Szenarios denkbar.
Das Alimentierungs-Szenario
In diesem Szenario werden Ältere, die ihren Job verlieren, genau wie heute ausgesteuert. Nach den neuen Gesetzen bekommen sie aber erheblich weniger Leistungen aus der Sozialversicherung als heute. Hunderttausende von Leuten in ihren 50er und 60ern müssten dann vom „Arbeitslosengeld II“ in Höhe der Sozialhilfe leben bis zum Rentenalter von 65 oder gar 67 Jahren.
Viele ältere Langzeitarbeitslose müssten sich dann eine Mischexistenz basteln aus Sozialleistungen, kleineren Nebenjobs oder auch ehrenamtlichen Tätigkeiten. Die Kluft zu den Festangestellten wird breiter, denn wer einen kündigungsgeschützten Job hat, bleibt schon allein aus Sicherheitsgründen auf diesem sitzen. Das wiederum blockiert den Jobmarkt für die Jüngeren.
Die Altersfrage bliebe dabei auch eine Klassen- und Geschlechterfrage. Denn in Betrieben mit körperlich anstrengenden und geringqualifizierten Jobs und mit hohem Frauenanteil werden die Altersgrenzen von den Personalverantwortlichen strenger angesetzt als in Unternehmen mit überwiegend männlichen qualifizierten Angestellten, ergab die IAB-Studie von Koller und Gruber.
Das Durchmischungs-Szenario
In diesem Szenario ackern in der Erwerbswelt künftig mehrere Generationen nebeneinander. Der Jobmarkt ist individualisierter als heute, eine Mischung aus Festangestellten, Zeitarbeitern, Teilzeitbeschäftigten und kleinen Selbstständigen, die projektgebunden arbeiten. Viele Arbeitnehmer und Selbstständige werden in Bezahlung und Status dabei auch mal eine „downward mobility“, eine Mobilität nach unten, akzeptieren müssen.
In diesem Szenario nähert sich Deutschland den USA an: Dort liegt die Beschäftigungsrate der 55- bis 64-Jährigen bei 59 Prozent, hierzulande hingegen bei 39 Prozent. Allzu viel sollte man von einer Flexibilisierung des Jobmarktes jedoch nicht erwarten. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise versuchten die Arbeitsämter im vergangenen Jahr, ältere Erwerbslose via Zeitarbeit wieder in Lohn und Brot zu bringen – aber nur 250 Interessenten von 2.000 Leuten im Bewerberpool fanden eine Festanstellung in den Zeitarbeitsfirmen. Die Nachfrage bei den Entleihern nach älteren Arbeitskräften sei zu schwach gewesen, bedauert Ingrid Schleimer, Arbeitsmarktexpertin beim Landesarbeitsministerium in NRW.
Freiberufliche Tätigkeiten könnten künftig für einige wenige Ex-Führungskräfte ein Ausweg sein, sich auf dem Jobmarkt zu halten. „Der Wettbewerb in diesem Segment hat aber heute schon zugenommen“, sagt Klaus Elsner, Geschäftsführer der DB Management Support GmbH. Das Unternehmen wurde vor vier Jahren als Tochterunternehmen der Deutschen Bank gegründet und vermittelt heute rund 150 älteren ehemaligen Führungskräften neue Aufträge als freiberufliche Berater. Die DBMS-Leute klären beispielsweise Mittelständler über neue Kreditrichtlinien auf und bilden in Ägypten junge Banker im Kreditwesen weiter, alles zu vergleichsweise günstigen Preisen.
Etwa die Hälfte der Unternehmen in Deutschland beschäftigt heute keine über 50-Jährigen mehr. Das wird sich ändern, wenn die Jüngeren in die Jahre kommen. Vor allem in der Produktion stellt sich daher die Frage, ob man für Ältere die Fließbänder anders taktet oder schonendere Bereiche schafft. „Da geschieht noch viel zu wenig“, sagt Paul Rodenfels von der IG-Metall-Verwaltungsstelle im badischen Gaggenau. In Gaggenau gibt es im Getriebe- und Achsenwerk von DaimlerChrysler eine kleine Meisterei, in der gesundheitlich angeschlagene und ältere Arbeiter von der verschleißenden Bandarbeit entbunden sind. Doch solche „Schonbereiche“ sind bundesweit noch eine Rarität.
Die Zukunft der verschiedenen Altersgruppen auf dem Jobmarkt in Deutschland wird wohl zwischen Durchmischung, Ausschluss und Alimentierung liegen. Dass den Leuten aber die Panik genommen wird, mit dem Älterwerden immer chancenloser zu sein – das ist vielleicht die wichtigste Aufgabe künftiger Sozialpolitik.