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Archiv-Artikel

„Meine Seele weint“

Mit 16 wurde Mainisha an ein Bordell verkauft. Jetzt tourt die junge Nepalesin mit der Kinderkulturkarawane durch Norddeutschland

„Wir tanzen uns den Hass und Schmerz einfach von der Seele“

von INA FREIWALD

Mainisha ist 16, als ihr Ehemann sie an ein Bordell verkauft. „Eines Tages lud er mich und unseren elf Monate alten Sohn Sunil in einen Bus und brachte uns dort in ein Hotel. Nach einigen Tagen behauptete er, er arbeite jetzt als Kurier und müsse ein Päckchen über die Grenze nach Indien bringen. Er kam nie wieder.“ Stattdessen kamen andere Männer, nahmen ihr den Jungen weg und drohten, dass ihm nur dann nichts geschehen würde, wenn sie die Wünsche von Kunden bereitwillig erfülle. Nach einem Monat verkauften sie sie weiter an ein Bordell.

Mainishas Schicksal teilen viele junge Nepalesinnen. Jährlich endet Kindheit und Jugend von bis zu 7.000 Mädchen in Bordellen – jedes fünfte ist acht bis zwölf Jahre alt. In einem bettelarmen Land, in dem 45 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, schreckt selbst ein früher Tod durch HIV oder Hepatitis die Angehörigen nicht davor ab, die eigenen Töchter, Schwiegertöchter und Ehefrauen an Zuhälter zu verkaufen.

Mainisha wurde aus diesen Verhältnissen gerettet. Herausgeholt hat sie die Organisation „Maiti Nepal“, in deren Namen sie mit der Kinderkulturkarawane in Deutschland auftritt. In selbstgeschneiderten Trachten singen und tanzen die Kinder der Karawane vom Leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung und sammeln so Spenden für den Kampf gegen die Kinderprostitution in ihrer Heimat. Die Karawane tourt ab heute durch mehrere norddeutsche Städte (siehe Kasten).

„Noch bevor die Gruppe überhaupt in Deutschland angekommen ist, hat die Unterstützung bereits begonnen“, sagt Gereon Wagener, ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitbegründer der Hilfsorganisation „Bono Direkthilfe e.V.“. So ist VW einer der Hauptsponsoren eines AIDS- Hilfe-Projekts und trägt mit 12.000 Euro die Kosten der Medikamente. Zahlen, die Wagner nicht gerne nennt. „Weil das nach viel klingt, aber nur ein kleiner Teil der Summe ist, die wirklich benötigt wird.“

Von den bisher eingegangenen Spenden finanzierte „Maiti Nepal“ unter anderem zehn Grenzstationen zwischen Nepal und Indien, von denen aus Sozialarbeiter täglich bis zu 20 verschleppte Mädchen aus den Bussen holen und psychologisch betreuen. Mit Unterstützung der indischen Polizei führt die Organisation auch regelmäßig Razzien in Bordellen durch und bringen die traumatisierten Gewaltopfer dann in einem eigens eingerichteten „Rehabilition Home“ in Kathmandu unter.

Das vierte Jahr tourt die Kinderkulturkarawane mit wechselnder Besetzung, unterstützt von Kinderschutzgruppen wie „UNICEF“, „terre des hommes“ und der „Bono Direkthilfe e.V.“ mit acht Gruppen aus drei Kontinenten durch Europa. In Schulen, Kulturvereinen, Gemeindesälen und Theatern erzählen die Akteure zwischen zwölf und 18 Jahren ihrem Publikum durch selbstverfasste Theaterstücke und Lieder vom Leben auf der Straße, in Flüchtlingslagern, Dörfern, Großstadtslums oder Bordellen. Mit poetischer Kraft und warnendem Inhalt, so wie in dieser Liedzeile von „Maiti Nepal“: „Der Monal fliegt und meine Seele weint im Schatten des Himalayas. Ich habe Mitleid mit meinen armen Schwestern. Mit Grasschneiden und Feldarbeit können wir unseren Lebensunterhalt verdienen. Geht nicht in ein fremdes Land, mit dem Gedanken, es würde alles besser.“

„Wir tanzen uns den Hass und Schmerz einfach von der Seele“, sagt Enrico. Er ist 14 und einer der „Friedenskonstrukteure“ der kolumbianischen Gruppe „Taller de Vida“ („Werkstatt für das Leben“). Wie die meisten der 16 Kinder war er vor seiner Aufnahme in die Gruppe eltern- und heimatlos – einer von 1,5 Millionen Flüchtlingen vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat. Das Erlebte lässt Enrico schon früh erwachsen denken: „Durch unsere Auftritte wollen wir erreichen, dass der Name Kolumbiens für die Welt wieder mit dem Wort ‚Leben‘ in Verbindung gebracht wird. Denn ohne Hoffnung wollen wir in diesem Land nicht erwachsen werden.“