: Ambivalent
Willam Friedkins „Der Exorzist“ im Abaton
Als vor zwei Jahren William Friedkins The Exorcist in einer neuen Fassung seine Wiederaufführung erlebte, wurden die Marketingstrategen des Verleihs nicht müde, von den hysterischen Begleiterscheinungen bei der Premiere 1973 zu schwärmen: Damals, so will es die Legende, kippten die Zuschauer gleich reihenweise aus den Kinosesseln, mancher erbrach sich in die Popcorntüte des Nachbarn, und überhaupt stand allen der Angstschweiß auf der Stirn.
Seitdem strandete jeder Teenager irgendwann mit seiner Peer Group an einem verlorenen Nachmittag im muffigen Hobbykeller eines milchbärtigen Mitschülers, der nervös eine Videokopie des Films in das elterliche Betamax-Gerät friemelte. Bei einem Bottich Götterspeise bezeugte das pubertäre Publikum die Leidensgeschichte der zwölfjährigen Regan (Linda Blair), die – von einem unappetitlichen Dämon besessen – ihrer Mutter Chris (Ellen Burstyn) das Leben zur Hölle macht.
Möbelstücke, Exkremente und Obszönitäten fliegen nur so durch die amerikanische Kinderstube, und erst in der dunkelsten Stunde treten zwei ungleiche Ghostbuster-Geistliche auf den Plan: Der ausgezehrte Veteran des Vatikans Merrin (Max von Sydow) und der junge Zweifler Karras (Jason Miller). „Your mother sucks cocks in hell!“, grüßt sie der Beelzebub und spuckt noch eine Ladung giftgrüner Erbsensuppe hinterher. Aber das Mysterium der römisch-katholischen Kirche wird ihm später noch in den Arsch treten.
Es waren natürlich die Schock-und Schauwerte, die junge Menschen in den Hobbykeller trieben, und tatsächlich verdankt der okkulte Proto-Blockbuster seine lange popkulturelle Halbwertzeit wohl kaum William Peter Blattys drögem Bestseller. Diese audio-visuelle Heraufbeschwörung des Leibhaftigen auf der Leinwand – nicht zuletzt durch den sublimen Score von Jack Nitzsche – in Verbindung mit kalkulierten Tabubrüchen markierte einen Paradigmenwechsel im Horrorfilm. Dass der formale Quantensprung jedoch zugleich Erfüllung einer reaktionären Backlash-Fantasie war, die den weiblichen Körper verteufelt, und für Psychologie, Emanzipation und Säkularismus nur ein zynisches „Vater Unser“ übrig hat – davon findet sich in der Legendenschreibung nichts. Der Film bleibt so ein zwiespältiges guilty pleasure, dessen reale Dämonen weiter auf ihren Exorzismus warten. DAVID KLEINGERS
heute, 22.30 Uhr (mit Einführung des Musikwissenschaftlers Sven Ahnert), Abaton