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Archiv-Artikel

„Von Blüten bis hin zu Schweiß“

Peter Scheib

„Slogans wie ‚Geiz ist geil‘ tun mir in der Seele weh. Ich wünsche mir, dass alle, die vor dem Weinregal stehen, das nicht im Hinterkopf haben.“„Die Linken, vor allem die von der Toskana-Fraktion, verstehen hier schon etwas vom guten Leben. Sogar bei der PDS kennt man sich aus.“

Mit verbundenen Augen kann er schmecken, ob ein Cabernet aus Chile oder aus Südafrika kommt, ob ein Winzer gepanscht hat oder der Wein verschnitten ist. Für Scheib, 1949 mitten in Württemberg geboren, ist Wein das Lebensthema. An- und Ausbau der edlen Tropfen lernte er auf einem württembergischen Weingut. Bis auf ein Studium der Verwaltungswissenschaft und einem Irrjahr in der Berliner Verwaltung ist er seiner Leidenschaft treu geblieben. Als Weinsachverständiger des Senates ist er einer von 70 beamteten Weinprüfern in Deutschland. Scheib verkostet und kontrolliert seit 20 Jahren den Wein aus aller Welt, der hier über Ladentheken und Thresen geht.

Interview ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr Scheib, Wein und der Handel damit waren ja schon immer etwas Hochpolitisches. Stimmt es, dass Sie von Berufs wegen die Länderfusion Berlin–Brandenburg herbeisehnen?

Peter Scheib: Ich beklage sehr, dass es in Brandenburg immer noch keinen Weinsachverständigen gibt. Im Speckgürtel sitzen sehr viele Weinhandels-Großbetriebe, weil es logistisch günstig ist. Wenn wir Probleme haben mit Weinen aus diesen Betrieben, dann ist für uns eine Zusammenarbeit mit Brandenburger Behörden sehr schwierig, weil es dort keinen Fachkollegen gibt. Meine Arbeit muss nämlich an der Stadtgrenze enden.

Haben das Fusel-Importeure schon großflächig als Lücke erkannt?

Nein, das kann ich nicht sagen, aber die Gefahr ist da.

Wie schneidet Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister und Genießer, als Weinkenner ab?

Sein Lieblingswein, da hab ich mich mal erkundigt, ist ein Wein aus Südtirol von Alois Lageder – dessen Topwein heißt Löwengang. Den trinkt Wowereit am liebsten. Das ist ein Wein, den ich perfekt finde, nur leider auch nicht ganz billig. Aber er gehört durchaus zu den wirklich großen Weinen dieser Welt.

Unsere Politiker sind nicht gerade als Gourmets bekannt. Versteht die Politik hier was vom guten Leben?

Ich muß sagen, die Linken in der Toskana-Fraktion verstehen hier schon etwas davon. Sogar bei der PDS kennt man sich aus. Gregor Gysi, den ich nach seinem Lieblingswein fragte, sagte, er trinke gerne Moselriesling. Exzellent, muss ich sagen, die gehören ja auch zu den besten der Welt.

Und die CDU? Wein oder Bier?

Die von mir Befragten waren doch eher auf der Bierseite. Wenn man schon hört, dass ein Berliner CDU-Spitzenkandidat die Bierhauptstadt München als schöner empfindet …

das war wohl Ihr persönlicher Tiefschlag des letzten Wahlkampfes! Wie stehts mit Wein-Highlights?

Berlin hat in den letzten zehn Jahren einen großen Sprung gemacht. Mittlerweile haben wir eine Weinmesse, nun sogar im Rathaus Schöneberg, mit mehr als 15.000 Besuchern in drei Tagen. Damit ist das die größte Weintrinker-Messe Deutschlands geworden. Ist doch bemerkenswert und spricht schon für den Berliner Weingenuss.

Haben Sie einen Lieblingswein?

Ach, den gibt es so gar nicht. Es gibt ja verschiedene Anlässe, dazu passt mal ein Roter, mal ein Weißwein. Bei Weißwein auf jeden Fall Deutschland, die sind weltweit einfach die Besten. Bei Rotwein schiele ich ganz gerne nach Frankreich, Italien, Spanien.

Können Sie etwas Höfliches über die in Berlin angebauten Weine sagen?

Ja, die sind sicherlich eine nette Bereicherung für die Stadt. Weintrinken in Berlin, das ist eine andere Geschichte,

Welche?

Berlin hat einen höheren Pro-Kopf-Verbrauch als der Rest der Republik. Dort werden 25 Liter getrunken, die Berliner schaffen 28 Liter Wein.

Das heißt, amtlich bestätigt, sind die Berliner beim Weintrinken keine Waisenkinder mehr?

Ja, das ist eine neue Entwicklung. Ich habe vor 20 Jahren hier in der Weinkontrolle angefangen. Damals gab es noch einzelne dünne Trends. Zum Beispiel wurde lange Zeit Edelzwicker getrunken, dann kam Chablis. Inzwischen ist die hiesige Weinszene aber sehr lebendig. Es wird alles getrunken, was der Weltmarkt hergibt.

Der Berliner Modewein 2003?

In diesem heißen Sommer überwiegend Weißweine, mit sehr starker Nachfrage nach deutschen Weißweinen.

Wie viel Weinlagen hat denn die Hauptstadt zu bieten?

Sie werden überrascht sein. Das beginnt in Neukölln mit dem Alt-Rixdorfer Wein, Schöneberg, der Kreuzberger Wein, dann gibt es den Weddinger, der zu Sekt verarbeitet wird. Ausserdem einen Weinberg in Wilmersdorf am Eisstadion. In Planung ist noch Marzahn, denn die Ostberliner Bezirke wollen auch dazugehören. Auch für den Prenzlauer Berg gibt es Bestrebungen. Sie sehen, hier ist einiges los.

Darf Berlin sich also bald Weinanbaugebiet nennen?

Überhaupt nicht. Laut EU-Regelung darf, ohne Sondergenehmigung, in Regionen außerhalb der Anbaugebiete immer nur ein Ar – also hundert Quadratmeter – Rebfläche bepflanzt werden. Ich muß zugeben dass wir diese Begrenzung ein bisschen überschreiten. Das wird aber stillschweigend geduldet, weil der Erlös dieser Weine wohltätigen Zwecken zufließt.

Ist der Anbau eine Art Eitelkeit der Bezirke, die alle etwas für ihren Ratskeller wollen?

Ich denke, dass es schon ein bisschen in die Richtung geht. Es gab im 19. Jahrhundert um Berlin herum eine Menge Weinbau. Das hat durchaus Tradition. Insofern ist das alles eigentlich nur eine kleine Wiederbelebung.

Seien Sie mal ehrlich. Wie schmeckt der Berliner Wein?

Man kann ihn trinken …

Müssen Sie jetzt diplomatisch sein?

Man muss eben sehen, dass diese Weine sehr unterschiedlich hergestellt werden. In Neukölln zum Beispiel bleibt alles in einer Hand, Anbau, Keltern und Ausbauen. Der übrige Berliner Traubensaft, den die Gartenbauämter verantworten, wird in die Weinanbaugebiete transportiert, in die Pfalz, nach Rheinhessen oder den Rheingau, wo er dann zu Wein verarbeitet wird.

Kriegen wir trotzdem Berliner Wein zurück?

Ja, das wird streng kontrolliert und kommt mit Etikett zurück. Unter dieser fachkundigen Verarbeitung kommt eben etwas besserer Wein zurück.

Für bacchantische Lokalpatrioten: Was ist ihr Berliner Tipp?

Der Kreuz-Neroberger Spätburgunder, der in Ingelheim ausgebaut wird, ist durchaus trinkbar.

Wie beschreiben Sie den Geschmack?

Er hat diese Nase von Brombeeraromen und dunklen Waldfrüchten. Im Geschmack präsentiert er sich leicht, es ist ein schlanker, sauber gemachter Wein. Wissen Sie, es gibt ja bis zu 800 Aromen, die man alle speichern können muss. Das reicht von Blüten und Fruchtaromen bis hin zu Stallgeruch, Schweiß und schmutziger Wäsche, all das kann man im Wein schmecken.

Schmutzige Wäsche? Dennoch werden Sie bestimmt von allen Weinliebhabern um Ihren Job beneidet?

Durchaus. Da sind viele neidisch. Aber wenn ich die mal vier Wochen im Schlepptau hätte und die mit mir die Weine in unserem Labor verkosten würden, – also da ist auch manches dabei, wo man sich mit Grausen abwendet.

Wird der 2003er dank des guten Sommers ein Jahrhundertwein?

Die Voraussetzungen hier waren sehr gut. Es gab etwas wenig Niederschlag, so dass die Erträge nicht besonders hoch sein werden. Die Qualität wird mit der gespeicherten Sonne aber sicherlich ganz gut werden.

Und der Spitzenreiter?

Riesling und Spätburgunder haben einen großen Vorteil, sie sind noch am Stock und bekommen durch die jetzigen Niederschläge noch genügend Feuchtigkeit, so dass die Trauben zusätzlich etwas Saft bilden.

Ist denn der märkische Sand überhaupt ein Weinboden?

Neben diesem ganzen Sand gibt es durch das alte Urstromtal durchaus sehr viel schwere Lehmböden, zum Beispiel in Tempelhof und Mariendorf, die sind hervorragend. Die meisten Berliner Lagen sind aber auf Sand, das heißt, das ergibt leichtere Weine.

Ihr Beruf ist es, diese und andere in Berlin gehandelten Weine zu verkosten. Können Sie sich auf Ihre Geschschmacksnerven immer verlassen?

Ich bin sehr gut trainiert. Pro Jahr verkoste ich 2.000 bis 2.500 Weine, da sammelt sich schon Erfahrung.

Gibt es einen Trick, wie Sie Nase und Gaumen eichen?

Es ist wichtig, sich immer wieder zu prüfen. Das geschieht zum Beispiel in der Arbeitsgemeinschaft der Weinkontrolleure, in der ich Mitglied bin. Jährlich führen wir eine große Sensorik-Schulung durch. Da müssen wir blind urteilen welche Rebsorte, welche Lage, aus welchem Land, Spätlese, Tafelwein und so weiter. Getestet wird dazu auch der Geschmacksschwellenwert. Da wird mit stark verdünnten Lösungen herausgefunden, wo sich bei einem Verkoster die Schwelle befindet für süß, salzig, bitter und so.

Kann ein Weinprüfer bei solchen Tests durchfallen?

Ja, wenn man in einem Bereich plötzlich schlechter wird, muß man sich schon überlegen, ob man noch ordentlich verkosten kann.

Wie wurden Sie eigentlich Berliner Weinsachverständiger?

Ich kam aus privaten Gründen nach Berlin. Zuvor arbeitete ich rund 20 Jahre auf einem baden-württembergischen Weingut, wo ich vom An- bis zum Ausbau alles über den Wein lernte. Als ich in Berlin Arbeit suchte, bot mir das Arbeitsamt ein Studium derVerwaltungswissenschaft an. Ich arbeitete dann noch ein Jahr in der Verwaltung, dann wurde zum Glück dieser Job ausgeschrieben. Mit meiner Erfahrung und dem Studium reichte es dann, dass ich die Stelle beim Berliner Senat bekam.

Kontrollieren Sie auf Verdacht, oder warum prüfen Sie welchen Wein?

Ich erstelle einen vierteljährlichen Probenplan, nach dem dann in allen Bereichen geprüft wird – von der Tanke bis hin zum feinen Weinladen. Der Gang zum Regal ist anonym, unangemeldet und folgt dem Zufallsprinzip. Ich gehe mit einem Einkaufswagen durch und entnehme, was ich prüfen muß. Hinterher melde ich mich beim Filialleiter und kündige die amtliche Weinkontrolle an. Wir prüfen dann die Kennzeichnung und verkosten. Wenn wir etwas zu beanstanden haben, geht das an das zuständige Bezirksamt. Das Lebensmittelaufsichtsamt entscheidet dann aber, ob Bußgeld bezahlt werden oder ob die Ware sogar vernichtet werden muß.

Gibt es eigentlich für Sie noch etwas Schlimmeres als Wein im Tetrapack?

Slogans wie „Geiz ist geil“! Das tut mir in der Seele weh. Ich wünsche mir, dass alle, die vor einem Weinregal stehen, gerade das nicht im Hinterkopf haben.