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Archiv-Artikel

„Erst mal ist mir Berlin egal“

Der SPD-Quertreiber aus Niedersachsen: Sigmar Gabriel sieht eine „objektive Gerechtigkeitslücke“ bei den Sozialreformen der Bundesregierung. Verlässliche Politik ist nicht sein Problem: Hartz IV muss ergänzt werden, egal was der Kanzler sagt

„Christian Wulff segelt im Windschatten der Sozialreformen. Das überlagert, dass im Land Riesensauereien organisiert werden“

Interview: Kai Schöneberg

Lange war der niedersächsische SPD-Fraktionschef völlig abgetaucht. Dann großer Aufschlag am vergangenen Wochenende, als Sigmar Gabriel in der Bild am Sonntag „einen Verzicht auf die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes“ forderte. Sonnenklar, dass das Finanzministerium ärgerlich abwinken würde. Eine Geschichte wurde aber erst draus, als die von Montagsdemonstrationen bedrängte Ost-CDU alles plötzlich genauso sah wie der SPD-Mann. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) kündigte an, Gabriels Vorhaben im Bundesrat zu unterstützen. Und schon waren die SPD-Granden mal wieder in der Bredouille. taz: Kaum verkündet die SPD in Berlin, es gebe keine weiteren Änderungen an Hartz IV, fordern Sie, der Spitzensteuersatz solle nicht wie geplant zum 1. Januar gesenkt werden. Wollen Sie Ihr Quertreiber-Image nie loswerden?

Sigmar Gabriel: Das ist seit Jahren meine Meinung und ich weiß gar nicht, wieso sich die SPD für dieses Thema einsetzt. Das war doch im Jahr 2000 die Bedingung von FDP und CDU, damit die Steuerreform im Bundesrat durchkommt. Auch das Argument, wir hätten derzeit im Bundesrat keine Mehrheit, zieht nicht: Wenn die SPD nie etwas gefordert hätte, gäbe es heute noch das Dreiklassenwahlrecht. Es geht mir um die Seele der Sozialdemokratie.

Verlässliche Politik sieht anders aus als Ihr Vorschlag.

Das ist nicht mein Problem. Die SPD dümpelt bei um die 20, 25 Prozent. Wenn da einer sagt, nur ein Teil der Partei macht immer alles falsch, weiß ich nicht, ob bei dem die Wahrnehmung noch stimmt.

Ein Grund für das SPD-Desaster ist doch die Unberechenbarkeit ihrer Politik.

Was ist schlimm daran, neue Situationen neu zu interpretieren? Man muss Politik in gewissen Abständen neu justieren.

Aber die SPD geht damit baden.

Die SPD geht auch deshalb baden, weil es nicht nur eine gefühlte, sondern auch eine objektive Gerechtigkeitslücke bei der Verteilung der Lasten gibt.

Warum gehen Sie dann nicht montags demonstrieren?

Ich bin nicht gegen Hartz IV. Uns bleibt keine Alternative. Allerdings gehen allein Niedersachsen 125 Millionen Euro verloren, wenn wir den Spitzensteuersatz von 45 auf 42 Prozent senken. Ich kann doch nicht beim Landesblindengeld und bei den Schulen kürzen und gleichzeitig bei Leuten mit mehr als 52.000 Euro Jahreseinkommen die Steuern senken! Da ist mir erstmal, mit Verlaub, egal, was in Berlin ist: Ich sehe mein Land und bin dagegen, Menschen, die es nicht nötig haben, Geld zu schenken.

Fühlen Sie sich denn richtig positioniert als der ‚gute‘ Lafontaine der SPD? Oder sogar als ihr Gysi?

Ich halte von solchen Schubladen nichts. Gregor Gysi ist ein hemmungsloser Populist - und Lafontaine auch. Was den Oskar treibt, ist nicht die Motivation, es besser zu machen, sondern sein Ärger über Gerhard Schröder. Ich habe auch nicht wenig Konflikte mit Schröder, aber ich muss nicht mein Mütchen kühlen. Die Politik der Bundesregierung ist richtig, aber sie muss ergänzt werden. Und: Ich finde auch diesen Bundeskanzler richtig.

Empfehlen Sie sich jetzt doch für einen Kabinettsposten?

Wenn ich daran Interesse hätte, müsste ich ja jede Debatte beenden und dafür sorgen, dass wir um Himmels willen nicht auffallen. Aber mein Job ist es, die SPD in Niedersachsen neu zu positionieren.

In der Landespolitik scheint ihre Sternstunde längst nicht gekommen – trotz der jüngsten Milliardenkürzungen der CDU/FDP-Koalition.

Noch ist Sommerpause. Und: Ministerpräsident Christian Wulff segelt im Windschatten der Sozialreformen in Berlin. Das überlagert, dass im Land Riesensauereien organisiert werden: Kürzungen in der Altenpflege, in den Kindergärten, in den Hochschulen – letztere sind mittelfristig die fatalsten. Die Klientel von CDU und FDP wird bedient – siehe das Abstimmungsverhalten zum Subventionsabbau im Bundesrat – und gleichzeitig fehlt Geld. Es gibt ein neues Gutachten des Landesrechnungshofs, das darauf hinweist, dass die Verschuldung nicht abgebaut wird wie versprochen.

Niedersachsen dürfte aber kaum wegen der Kürzungen im Landesetat einen heißen Herbst erleben – sondern wegen Hartz IV.

Könnte stimmen - obwohl ich nicht weiß, ob das noch steigerbar ist, was wir gerade erleben.

Bei der Debatte um die verschwiegenen Gutachten aus SPD-Zeiten, bei der Landestagsverkleinerung oder bei der Diäten-Nullrunde hat sich stets gezeigt, dass Ihre Fraktion nicht geschlossen hinter Ihnen steht. Werden Sie nächstes Jahr wieder als Fraktionschef antreten?

Natürlich. Die Entscheidung für die Landtags-Verkleinerung ist in der Fraktion mit einer Stimme Mehrheit gefallen. Es gibt immer Kollegen, die sagen: Mein Gott, das könnte ja mich treffen. Trotzdem kann man so einer Debatte nicht ausweichen.

War die Drohung, die Landtagsverkleinerung per Volksinitiative durchzudrücken, nicht unglaublich populistisch?

Nein, es war ja völlig klar, dass sie kommt. Steuerzahlerbund und Grünen hätten doch auch mitgemacht.

Wer wird SPD-Kandidat bei der Niedersachsen-Wahl im Jahr 2008?

Wenn’s nach mir geht, ich selbst. Entscheiden wird aber die Partei.