: Niemals von Liebe reden
Alles Rhetorik beim Festival Tanz im August: Wie Akram Khan in „Ma“ die Sprache des Körpers auf den Kopf stellt, um der Erde näher zu kommen, und Simone Aughterlony in „Public Property“ vom Verstummen des Körpers unter der Bedingung seiner öffentlichen Ausstellung erzählt
Wie sähe die Welt aus, wenn wir auf unseren Köpfen gehen würden? Wäre man dann aufmerksamer für das Leben der Bäume, die sich, in der Erde wurzelnd, erst langsam in die Höhe arbeiten? Solche Verbindungen zwischen der Richtung unserer Gedanken und der Position des Denkers legt das Tanzstück „Ma“ nahe. Mit dem Kopf nach unten und an den Füßen aufgehängt, eröffnet der pakistanische Sänger Faheem Mazhar die Performance mit einem Lied in Sufi-Tradition. Akram Khan selbst, der Choreograf, erzählt, wie er sich als Kind in die Bäume hing, um über all die Fragen nachzudenken, die seine Mutter ihm nicht beantworten konnte. Dann stellte er sich vor, dass die Gedanken aus seinem Kopf hinaus auf die Erde fielen. Am Ende verwandeln sich zwei Tänzerinnen in Kopffüßlerinnen: Ein Bein in die Höhe gestreckt, das wie ein Affenschwanz für die Balance sorgt, hüpfen sie auf dem zweiten Bein und auf den Händen und lassen den Blick nah über den Boden pendeln.
„Ma“ ist das Hindiwort für Erde und Mutter, und der Wiederherstellung einer verlorenen Bindung zu beiden ist das Stück von Akram Khan gewidmet. Von mystischem Raunen oder romantischer Verklärung ist „Ma“ aber weit entfernt. Es sind vielmehr die konkreten Körperbilder, die den Zusammenhang von Position, Bewegung, Wahrnehmung und Denken so deutlich wie selten ins Bewusstsein rücken und diesem Stück Anmut und Witz verleihen.
Akram Khan gehört mit seinem Ensemble aus Tänzern und Musikern zu den Stars des Festivals „Tanz im August“. Im Mai wurde ihm in Wolfsburg der neu gestiftete Internationale Movimentos Tanzpreis verliehen. Seit vier Jahren arbeitet er in London an neuen Verbindungen zwischen der fünfhundert Jahre alten Tradition des Kathak, des klassischen indischen Tanzdramas, und der westlichen Moderne. Das klingt zunächst wie eine weitere Facette des Crossover. Doch eine besondere Begabung für die Übersetzung und Transformation unterschiedlicher Strukturen prägt Khans Arbeit. Seine Stücke enthalten kurze Demonstrationsstrecken der Dekodierung, in denen er etwa den Scat-Gesang, der extrem schnelle Silbenfolgen abschießt, auseinander nimmt und verlangsamt, bis die Laute des Sängers und die Gesten des Tänzers als ein genaues und dennoch improvisiertes Zwiegespräch erkennbar werden.
In „Ma“ hat Akram Khan vom indischen Tanz vor allem diesen ständigen Austausch der Impulse zwischen Tänzern und Musikern übernommen: Plötzlich sieht man, dass dies alles auch rhetorische Formen von großer Beredsamkeit sind. „Ma“ ist von einem Tanzstil geprägt, der einzelne, ungewöhnlich einprägsame Körperbilder in einen oft so verteufelt schnellen Fluss einbindet, dass man das gern noch einmal in Zeitlupe sähe. Scharfe Linien, die den Raum wie mit einem Messer durchteilen und den Zusammenhang des ganzen Gefüges gewähren, verbinden sich mit einer anmutigen Sprache, etwa der Handgelenke, die ohne Unterlass die großen Bögen umspielen. Man mag das nicht in indische und westliche Elemente auseinander nehmen, und das wäre auch sinnlos; zu bewundern ist aber, wie es Khan gelingt, verschiedene Formen von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung übereinander zu legen, zu verbinden und doch konzentriert zu bleiben.
Die Aufmerksamkeit so kontinuierlich zu erhalten, das gelang Simone Aughterlony in ihrem Solo „Public Property“ nicht so gut. In ihrer Performance wechselten sich Passagen des Wartens, in denen man sich nur in ihr regloses Videoporträt vertiefen konnte, mit dramaturgisch ausgefuchsten Sequenzen ab. Die folgten einer paradoxen Strategie: vom Verschwinden des körperlichen Ausdrucksvermögens unter dem Druck der Selbstvermarktung zu erzählen.
Die Neuseeländerin Simone Aughterlony gehört zum Ensemble Damaged Goods der Choregrafin Meg Stuart (Zürich), und ihr Solo „Public Property“ wirkt wie eine Weiterentwicklung ihrer Rolle in Stuarts Stück „Alibi“. Beide richten den Blick auf das Fehlbare und die Schwächen des Menschen. Aughterlony setzt sich der Beobachtung aus und beschreibt, welche Instanzen der Selbstkontrolle dabei den Beobachteten ergreifen. In einer 12-Minuten-Rede zerlegt sie die Regeln der Rhetorik und stellt ganz obenan: Gib niemals zu, dass du geliebt werden willst. Je mehr Anleitungen sie über die Einteilung der Zeit, die Erzeugung von Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit aufstellt, desto größer wird der Schatten dessen, worüber sie nicht redet – das eigene Unglück, die Angst vor der Verletzbarkeit. „All your secrets are save in your body“, sagt sie, und so lernen wir, die versteckten Geheimnisse zu sehen. Wie viel man von sich verliert auf dem Weg, die Kontrolle über das öffentliche Bild seiner selbst zu etablieren, das ist die eigentliche Geschichte von „Public Property“. Aughterlonys Humor entfaltet sich dabei langsam und läuft zum Schluss zu einer unterhaltsamen Höchstform auf, die man am Anfang nie für möglich gehalten hätte.
Was Aughterlony bei ihrem Stück noch an Bewegungen gebraucht, ist reduziert, linkisch und komisch: Sie verfolgt die Deformationen von verinnerlichten Regeln der Evaluierung des Selbst. Tanz und Tänzerin zu sein ist da weniger eine Frage der Form der Darbietung als vielmehr der Form der Wahrnehmung und Beobachtung. Und darin berührte sich ihr Stück mit Akram Khan. Du bist, wie du dich bewegst.
KATRIN BETTINA MÜLLER