: Virtuosen der Ziellosigkeit
Hier und dort Spuren hinterlassen und sonst abhanden kommen: Jim Jarmuschs Figuren sind selbst im Kaffeehaus Vagabunden. Im Episodenfilm „Coffee and Cigarettes“ sagen Bill Murray, die Rapper RZA und GZA, Iggy Pop und Tom Waits hallo, und wo ihr Gesprächsstoff banal ist, wird das Reden Musik
VON DIETRICH KUHLBRODT
In einer der elf Kaffeehaus-Sequenzen sitzt Meg, die Studentin, da und tut das, was wir als Zuschauer/Zuhörer sowieso machen, nämlich dasitzen und zuhören. Speziell dient sie ihrem Freund als Resonanzboden für die Demonstration der von ihm nachgebauten Teslaspule. Ein großes Ding, es passt grade noch in den Kofferraum. Wir sehen es. Und wir hören, dass Nicola Tesla den Transformator vor hundert Jahren erfunden hat und dass er die ganze Welt als universellen Resonanzboden schwingen lässt.
Ein paar Windungen um die Spule und man hat einen Hochfrequenzschwingungskreis. – Genau das spult einem Regisseur Jim „Ghost Dog“ Jarmusch nicht bei, aber beim Kaffeetrinken und Rauchen funktioniert es: Wir werden eingespult, und der Film setzt Energie frei. Aber warum ist „Coffee and Cigarettes“ kurzweilig und anderthalb Stunden lang hochfrequent intensiv, obwohl das, was die Kaffeehausbesucher sich erzählen, belanglos ist?
Ich glaube, das Jarmusch-Phänomen ist damit zu erklären, dass er einem Zeit lässt, sich in den Film reinzuhören. Das Gerede, Gelaber, Rumspinnen und Einander-Anmachen. Die Worte verlieren ihre Bedeutung, und sie gewinnen musikalische Qualität. Die Stimmen als Instrument. – Klar weiß ich, dass es sich in einer Rezension gehört, dem Leser den plot des Films mitzuteilen. Ich tu es auch noch, weiter unten. Versprochen. Aber das zu tun, was sich nicht gehört, ist es, was „Coffee and Cigarettes“ von den anderen Filmen unterscheidet. Im Jarmusch-Film hören wir zwar Tom Waits und Iggy Pop reden über dies und das und dass in der Jukebox weder was vom einen noch vom andern ist. Aber wir hören „Saw Sage C-Side“ und „Louie, Louie“, dazu deren Stimmen, und das ist es.
Also bin ich jetzt dabei, dass „Coffee and Cigarettes“ primär ein Musikfilm ist (plus dokumentarischer Performance). „Louie, Louie“ gibt es außerdem von Richard Berry & The Pharaos. Und Titel von Funkadelic, Tommy James & The Shondells, The Stooges, The Skatalites, Jerry Byrd und Eric „Monty“ Morris, aber auch die Phantasie 3 in g-Moll von Henry Purcell (Fretwork) und zum Finale Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ (Janet Baker).
Mit „Permanentes Abhandensein“ könnte man auch „Permanent Vacation“ übersetzen – den Film, den Jarmusch als ersten gedreht hat, vor einem Vierteljahrhundert. In diesem Film sah man Leute, die ungehörigerweise Orte, Positionen, Karrieren, Ziele vakant lassen. In der Lower East Side bewegen sich permanent ziellos Menschen, die hier und dort Spuren hinterlassen, Graffiti, eine Saxofon-Line, jeder für sich, selbstvergessen, verloren, aber ganz bei sich, in Trance, zur Musik von Jim Jarmusch, Earl Bostic und John Lurie. Darsteller: John Lurie, Chris Parker und Leila Gastil.
Jarmusch also ist seit 25 Jahren bei sich, egal welche Vergangenheiten sich seitdem auf- resp. abgebaut haben, welche Zukunft ihre Bedeutung gewonnen resp. verloren hat. Der Welt ist er vielleicht abhanden gekommen, aber als Resonanztransformator und hochfrequenter Energiespender ist er der, von dem ich sage: Er ist mein Mann. 1980 saß ich in einer Wettbewerbsjury der Filmfestspiele Mannheim. „Permanent Vacation“ wurde die Teilnahme am Wettbewerb verweigert – als etwas Ungehöriges, mehr noch: ein Hassfilm. Damals. Aber die Jury hatte das Recht, einen Film in den Wettbewerb aufzunehmen. Wir taten das. Und gaben „Permanent Vacation“ den Preis. 1981 sendete der WDR den Film unter dem Pennälertitel „Dauernd Ferien“.
Jarmusch drehte danach „Stranger Than Paradise“, „Down By Law“, „Mystery Train“, „Night On Earth“, „Dead Man“, die Neil-Young-Dokumentation „Year Of The Horse“ und „Ghost Dog“. In dieser Zeit entstanden auch die ersten Sequenzen von „Coffee and Cigarettes“; während der Dreharbeiten spontan improvisiert mit Darstellern und Sympathisanten, die grade eine Zigarettenpause hatten und Zeit für eine Tasse Kaffee. Es begann 1986 während der Aufnahmen zu „Down By Law“. Roberto Benigni und Steven Wright sind sich einig, dass man mit Suchtmitteln weiterkommt, wenn man mit den Nerven am Ende ist. Bloß steht dem einen, dem Kiffer, der alles blockierende Zahnarzttermin bevor. Der andere, der Kaffeejunkie, aber weiß Rat. Er ist zum Tausch bereit.
Und so geht es weiter: die Zwillinge Cinqué Lee und Joie Lee diskutieren die Schnapsidee, nach Memphis zu fahren. Kellner Steve Buscemi hat die Theorie, dass Zwilling Elvis Presley einen bösen Bruder hatte, der ihm die Karriere versaute. – Renée French studiert die Broschüre „Bau dir deine eigene Motorradaufhängung“. Kellner E. J. Rodriguez macht sie an und gießt ungefragt Kaffee nach. Jetzt stimmt die Mischung mit der Milch nicht mehr. – Isaach de Bankolé und Alex Descas werden sich über das Motiv nicht einig, warum sie im Café sitzen. – Filmstar Cate Blanchett spielt eine Doppelrolle: Sie versucht gleichzeitig einer armen Verwandten zu imponieren, die von ihrem Freund schwärmt, und seiner leider marktlosen Industrial-Band „Sqürl“. – Alfred Molina lässt sich vom arroganten Steve Coogan demütigen, aber dann vertauschen sich die Rollen. – GZA und RZA klopfen sich gegenseitig auf die Schulter: endlich der Droge Koffein entsagt. Kellner Bill Murray trinkt vor ihren Augen eine Kanne Kaffee aus. – Taylor Mead und Bill Rice sinnieren übers Champagner-, alternativ das Kaffeetrinken im Seniorenalter, anderes bleibe ihnen ja nicht. „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, hört man im Hintergrund.
Ist das jetzt o.k.? Sagt das, was gesagt wird, etwas über den Film? Ja? Dann bitte. Aber würde man über elf Musikvideos so schreiben wollen? Jim Jarmusch drehte Videos für Talking Heads, Big Audio Dynamite, Tom Waits und Neil Young & Crazy Horse. Und niemand hat darauf bestanden, dass ihm der Plot klar gemacht wird. Doch zugegeben, die letzten „Coffee and Cigarettes“- Sequenzen sind inszeniert. Nachdem Jarmusch sich vor zwei Jahren entschlossen hatte, das Ziel Spielfilmlänge zu erreichen. Der Kurswechsel ist merkbar. Überhaupt, dass ein Kurs eingeschlagen ist, bringt die „Musikvideos“ ins Fahrwasser des Spielfilms zurück. Schlimm ist das nicht, aber unspontan. Was aber den Genuss nicht weiter stört.