Powell sieht den Fortschritt im Chaos

Der US-Außenminister besucht erstmals seit der US-Invasion den Irak. Die Differenzen mit Frankreich über eine neue UN-Resolution bleiben bestehen

von ERIC CHAUVISTRÉ

Stoppover in Genf. Dann weiter nach Bagdad. Die Abfolge der Ziele dürfte nicht nur das Ergebnis einer möglichst ökonomischen Reiseplanung des US-Außenministeriums gewesen sein. Sie stand auch für die Politik der US-Regierung im Umgang mit dem Chaos im Irak: Die Unterstützung der UNO und anderer Staaten ist erwünscht, aber auch allein haben wir, die USA, im Irak alles unter Kontrolle.

Am europäischen Sitz der UNO in Genf hatte US-Außenminister Colin Powell mit seinen Kollegen aus den vier anderen Veto-Mächten im UN-Sicherheitsrat – Großbritannien, Frankreich, Russland und China – Gespräche über eine neue Irakresolution geführt. Bei dem anschließenden Besuch in der irakischen Hauptstadt wollte sich Powell, laut offiziellem Bulletin seines Amtes, ein Bild von dem „Fortschritt“ machen, „den das irakische Volk beim Aufbau der Nation“ macht. Tatsächlich dürfte der Trip, ähnlich wie der von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zehn Tage zuvor, in erster Linie dazu gedient haben, der Bevölkerung in den USA zu demonstrieren, dass die Lage im Irak ganz so katastrophal nun doch nicht ist.

Nach den Gesprächen der großen Fünf im Sicherheitsrat war Powell bemüht, die offenbar weiterhin existierenden Differenzen, besonders mit der französischen Regierung, möglichst herunterzuspielen. Das Wichtige sei, so Powell am Samstagabend, „dass wir unsere Zeit damit verbracht haben, nach Punkten der Übereinstimmung zu suchen“. Und davon, das versicherte der Außenminister, gäbe es viele. Die Gespräche sollen schon bald in New York fortgesetzt werden.

Die beschwichtigenden Worte Powells standen im Kontrast zu harschen Tönen vor dem Treffen. Der US-Chefdiplomat hatte Vorschläge seines französischen Kollegen Dominique de Villepin zuvor – ganz undiplomatisch –als „total unrealistisch“ zurückgewiesen, wonach noch im nächsten Monat eine provisorische Regierung für den Irak gebildet werden, bis Ende des Jahres eine Verfassung ausgearbeitet und bis zum nächsten Frühjahr freie Wahlen abgehalten werden sollen. Villepin hatte den Zeitplan am Tag zuvor in einem Beitrag für die Tageszeitung Le Monde dargelegt, was in Washington, so kurz vor den Gesprächen, wiederum als Affront aus Paris gesehen wurde.

Erklärtes Ziel der USA bei den Gesprächen über eine neue Irakresolution ist der Aufbau einer multinationalen Truppe, die dort zwar mit einem UN-Mandat agieren, aber weiterhin unter US-Kommando stehen soll. Darüber hinaus erhoffen sich die USA auf diese Weise auch eine finanzielle Beteiligung anderer Staaten an den Besatzungskosten.

Frankreich und Deutschland wollen im UN-Sicherheitsrat den Forderungen der USA nach bisherigem Stand nur dann zustimmen, wenn die USA eine deutlich stärkere Rolle der Vereinten Nationen bei der Zivilverwaltung des Irak akzeptieren. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag bekräftigte Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern die Forderung nach einer zentralen politischen Rolle der UN.

Wenn Powell mit seinem Besuch in Bagdad auf die Fortschritte im Irak hinweisen wollte, war der Zeitpunkt denkbar ungünstig gewählt. Die Beisetzung der acht am Freitag von US-Militärs irrtümlich getöteten irakischen Polizisten in Falludscha geriet nach CNN-Berichten zu einer von Gewehrsalven begleiteten Demonstration gegen die US-Streitkräfte. Und kurz vor der Ankunft Powells gab es ebenfalls in Falludscha ein weiteres Todesopfer unter den US-Soldaten, als neben einem Militärfahrzeug ein Sprengsatz explodierte.