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Archiv-Artikel

Mit Ach und Krach für Brüssel nominiert

Grünen-Chefin Angelika Beer schwimmt nicht gerade auf einer Sympathiewoge: Noch nicht mal im Europaparlament wollen viele Grüne sie sehen. Bei der Nord-Vorwahl für die deutsche Liste bekam sie nur 62 Prozent Zustimmung

SCHWERIN taz ■ Auf den ersten Blick hat sie erreicht, was sie wollte. Angelika Beer ist am Samstag in Schwerin bei einer parteiinternen Vorwahl der norddeutschen Grünen für die Europawahlliste ihrer Partei nominiert worden. „Ich freue mich, dass ich vom gesamten Norden Unterstützung bekommen habe“, sagte Beer der taz. Auch die eigens angereiste Bundestagsfraktionschefin der Grünen, Krista Sager, zeigte sich erleichtert. Beer habe ein „hinreichend klares Votum erhalten“, so Sager, um sich auf dem entscheidenden Aufstellungsparteitag der Bundesgrünen im November „für einen vorderen Platz“ zu bewerben. Die Empfehlung der Nordgrünen hat Beer in der Tasche.

Doch von einem strahlenden Sieg in ihrem Regionalbezirk, der Beers Kritiker in den eigenen Reihen vielleicht verstummen ließe, kann keine Rede sein. Obwohl Beer ohne Gegenkandidatin angetreten war, erhielt sie von den Delegierten aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gerade mal 62 Prozent der Stimmen. Ein wenig schmeichelhaftes Resultat. Immerhin ist Beer die amtierende Bundesvorsitzende der Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen.

In jeder anderen Partei würde es die Chefin wohl als entwürdigend betrachten, dass sie sich überhaupt einem solch komplizierten Vorwahlprozess unterziehen muss – nur um einen Sitz im Europaparlament zu kriegen, das nicht gerade als Traumziel für ehrgeizige Bundespolitiker gilt. Die Unterstützung dafür sollte eine Selbstverständlichkeit sein, zumal Beer bereits bescheiden auf Platz eins auf der deutschen Liste verzichtet hat. Ist es aber nicht. Wahrscheinlich wäre Beers Ergebnis am Samstag sogar noch schlechter ausgefallen, wenn alle stimmberechtigten Schleswig-Holsteiner Grünen nach Schwerin gekommen wären. Ein gutes Dutzend blieb lieber zu Hause, was ein Grüner aus dem Norden eine „Abstimmung mit den Füßen“ nannte. Vor allem die Linken in ihrem Heimatlandesverband haben es Beer noch immer nicht verziehen, dass sie als verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen während des Kosovokriegs ins Realo-Lager überlief. Misstrauisch verfolgen sie seitdem jede Äußerung der ausgewiesenen Verteidigungsexpertin. Dass sich Beer als Parteichefin kürzlich für eine „Prüfung“ des Bundeswehreinsatzes im Irak ausgesprochen hat, dürfte für neuen Unmut an der pazifistischen Basis gesorgt haben, obwohl Beer ihren Vorstoß wenig später deutlich relativierte.

Auf Hilfe von den Realos an der Parteispitze musste Beer vergeblich hoffen. Lediglich Fraktionschefin Sager bekundete ihre Unterstützung. Ihre Anwesenheit in Schwerin sei „auch eine Sympathiegeste für Angelika Beer“ gewesen, erklärte Sager der taz. Den Machtmenschen um Joschka Fischer gilt sie dagegen immer noch als Verlegenheitsvorsitzende, die nur zufällig ins Amt gespült wurde.

Weil Beer die Vorbehalte kennt, wählt sie inzwischen eine für Spitzenpolitiker höchst ungewöhnliche Taktik: Bescheidenheit. Fast entschuldigend erinnerte sie die Delegierten in Schwerin daran, sie habe ursprünglich gar nicht Vorsitzende werden wollen. Und Ende nächsten Jahr werde sie ohnehin als Parteichefin gehen.

Was auch immer man ihr vorwerfen kann – mangelndes Stehvermögen sicher nicht. „Ich bin eben eine streitbare Politikerin“, kommentierte Beer die Gegenstimmen. „100 Prozent Zustimmung würde gar nicht zu mir passen.“ LUKAS WALLRAFF