: Wähler als Künstler
Initiative sammelt Unterschriften für ein faires Wahlrecht. Unterstützer aus dem ganzen Bundesgebiet, darunter Schüler des Künstlers Joseph Beuys
von GERNOT KNÖDLER
Um aus dem Grundgesetz einen Blickfang zu machen, muss man es schon aufblasen. Was die Initiative „Mehr Bürgerrechte“ gestern auf dem Gänsemarkt tat, kann als Symbol für den Wunsch verstanden werden, die deutsche Verfassung mit mehr Demokratie zu füllen. Mit dem Blickfang wollte die Initiative auf den Beginn ihrer Unterschriftensammlung für ein besseres Bürgerschafts-Wahlrecht hinweisen (taz hamburg berichtete).
Weitere Eyecatcher waren zwei Doppeldecker-Busse, die auch in den nächsten Tagen vor dem Rathaus Altona und am Tibarg Center stehen werden. Einer davon, der blaue „Omnibus für direkte Demokratie“, ist von dem verstorbenen Künstler Joseph Beuys 1987 auf der Documenta gestartet worden. Seither wirbt er landauf landab für eine stärkere Beteiligung der Bürger an der Gestaltung ihres Gemeinwesens.
„Mehr Bürgerrechte“ will das unbefriedigende Ein-Stimmen-Wahlrecht der Bürgerschaft durch ein Mehr-Stimmen-Wahlrecht ersetzen. Die Wähler sollen auf der Landesliste und in neu zu schaffenden Wahlkreislisten jeweils fünf Stimmen frei verteilen können. Die Politiker sollen auf diese Weise gezwungen werden, sich stärker um ihre Wähler zu bemühen, statt um ihre Parteikollegen. Quereinsteigern würde politisches Handeln erleichtert. Die Initiative erhofft sich davon eine Belebung der Parteien.
Den Gegenvorschlag von SPD, CDU und Schill-Partei bezeichnet die bundesweite Initiative „Mehr Demokratie“ als Mogelpackung. „Die Abgeordneten wollen uns den Wind aus den Segeln nehmen“, mutmaßt Vorstandssprecherin Claudine Nierth.
Die drei Parteien wollen lediglich Wahlkreise einführen, so dass das Bürgerschaftswahlrecht dem Bundestagswahlrecht gliche. Sie beauftragten den Verfassungsausschuss, bis zum 12. November dazu ein Gesetz vorzulegen.
Bis dahin wird längst entschieden sein, ob es zu einem Volksentscheid über den Vorschlag von „Mehr Bürgerrechte“ kommt, denn die Frist für das Unterschriftensammeln läuft nur bis zum 29. September. „Wenn wir mit unserem Volksbegehren keinen Erfolg haben, wird sich unter Garantie nichts ändern“, befürchtet Vertrauensfrau Angelika Gardiner. Wenn der Druck eines Volkentscheides erst einmal weg wäre, würden sich die Parteien endlos über die Zuschneidung der Wahlkreise streiten und am Ende würde alles beim Alten bleiben. Die Bürgerschaft ist schon einmal mit einer Änderung des Wahlrechts gescheitert.
GAL und FDP unterstützen das Volksbegehren. Die FDP hat allerdings für den Vorschlag der Bürgerschaftsmehrheit gestimmt. Der Abgeordnete Ekkehard Rumpf erklärt das so: „Wir halten das Modell der Volksinitiative für das Bessere. Aber das Modell der Bürgerschaft ist auf jeden Fall besser als das jetzige.“ Das Volk solle entscheiden.
Joseph Beuys hätte sich über eine solche Aussage gefreut. Der Künstler habe Politik als Gestaltung der Gesellschaft verstanden und daher als Kunst, an der möglichst jeder schöpferisch mitwirken sollte, sagt Thomas Mayer, Geschäftsführer des Omnibusses für mehr Demokratie. Seine Arbeit und die seiner Mitstreiter versteht er „nicht als Politik, sondern als Kunstprojekt“.
Am 20. September wird der Beuys-Schüler Johannes Stüttgen in der Freien Kunstschule über die „Arbeit an der Sozialen Plastik“ referieren. Friedensallee 44, 15 bis 17 Uhr Vortrag, 18.30 bis 21 Uhr Gespräch.