: Der BMW, der Zebrastreifen und die Faust
Alltag: Radler und Autofahrer beschimpfen sich. Brutal: Beim zweiten Treffen zerschlägt der Pkw-Fahrer dem Radler die Nase. Glück: Beim dritten Mal erkennt der Radler das Pkw-Kennzeichen. Pech: Es ist ein ziviles Polizeifahrzeug
Die Geschichte ist ziemlich ungewöhlich. So ungewöhnlich, dass die Ermittlungen vielleicht bald eingestellt werden. Umso mehr Grund für den 38-jährigen Bauarbeiter Kai Hübner*, entschieden in eigener Sache zu kämpfen. Auch auf die Gefahr hin, dass sich die Anschuldigung eines Tages in ihr Gegenteil verkehren und er selbst der Angeschmierte sein könnte. Aber das schreckt Kai Hübner nicht. Der körperlich eher kleine Mann mit der kräftigen Statur, der eigenen Angaben zufolge noch nie in seinem Leben mit der Polizei in Konflikt gekommen ist, fühlt sich absolut im Recht. „Es kann doch nicht ein, dass man am helllichten Tag einfach so von einem Zivilbeamten zusammengeschlagen wird“, sagt er bitter. „Ich werde nicht lockerlassen, bis es zu einer Gegenüberstellung gekommen ist“.
Es geschah am Donnerstag in der dritten Augustwoche. Wie üblich war der passionierte Radler Kai Hübner mit seinem Velo unterwegs. Gegen 12 Uhr mittags beging er die Sünde, in der Zossener Straße in Kreuzberg statt abzusteigen und zu schieben, über einen Zebrastreifen zu radeln. Grund genug für den vor dem Zebrastreifen haltenden Fahrer eines schwarzen BMW, anzufahren, um sogleich wieder scharf abzubremsen. Als der kurz danach an Hübner vorbeifuhr, brüllte er durch das heruntergekurbelte Beifahrerfenster: „Was hast du mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig zu suchen?“
Ungetrübt von dem Vorfall setzte Hübner seinen Weg fort: „Das war ein banaler Disput, der sich 1.000 Mal am Tag ereignet.“ Ein paar Straßen weiter wurde Hübner jedoch eines Besseren belehrt. In der Nostizstraße wollte der Bauarbeiter einen Freund besuchen. Der hatte auf einem Zettel an der Wohnungstür zu verstehen gegeben: „Bin gleich wieder da“. Hübner setzte sich auf der Straße auf einen Betonring, in den ein Baum eingepflanzt war, und zündete sich eine Zigarette an. Da sah er, wie ein Mann, den er als Fahrer des schwarzen BMW wiedererkannte, den Bürgersteig entlang auf ihn zugerannt kam. „Als er auf meiner Höhe war, schlug er mir mit der rechten Faust auf mein linkes Jochbein. Ich habe versucht, mich zu wehren, und zurückgeschlagen. Da habe ich einen zweiten Faustschlag ans Kinn bekommen und bin bewusstlos geworden.“
Unmittelbare Augenzeugen für den Vorfall gibt es bislang nicht. Ein paar Jugendliche, die den Rettungswagen gerufen hatten, hatten lediglich zwei weglaufende Personen gesehen. Hübner selbst hatte es ganz schön erwischt: zertrümmertes Nasenbein und Rippenprellung lautete die Diagnose im Urban-Krankenhaus.
Hart gegen sich selbst war der Bauarbeiter vier Tage später wieder mit dem Rad unterwegs, um Besorgungen zu machen. Der Zufall wollte es, dass er vor sich in der Urbanstraße einen schwarzen BMW im Schritttempo fahren sah – und darin den Mann, der ihn zusammengeschlagen hatte. Nachdem er bereits Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet hatte, reichte Hübner nun einige Tage später das Kennzeichen des schwarzen BMW nach.
Inzwischen hat das Landeskriminalamt die Ermittlungen übernommen. Das Kennzeichen weise auf ein Behördenfahrzeug hin, genauer gesagt, auf ein Polizei-Zivilfahrzeug, bestätigte die Polizeipressestelle der taz. Das Verfahren werde trotzdem weiter gegen „Unbekannt“ geführt, weil unter anderem erst einmal geklärt werden müsse, wer das Fahrzeug alles gefahren habe. „Alles ist im Fluss“, so ein Polizeisprecher.
Auch Kai Hübner selbst ist vor ein paar Tagen als Zeuge vernommen worden. Er sei sich nach wie vor absolut sicher, den Täter in dem Auto wiedererkannt zu haben: „Es ist keine Verwechslung möglich.“ Um den Beweis antreten zu können, fordert er eine Gegenüberstellung. Er habe kein Interesse daran, jemanden falsch zu beschuldigen, versichert Hübner. „Aber ein Polizist, der einen Menschen nach einem banalen Disput zusammenschlägt, ist ein Psychopath und gehört aus dem Verkehr gezogen“. PLUTONIA PLARRE
* Name geändert