Angstneurose ist Abschiebehindernis

Suizid-gefährdeter Kurde darf nicht abgeschoben werden – auch nicht unter ärztlicher Aufsicht

Bremen taz Der Kurde Mehmet Ata Dogan wäre mit seiner Familie längst in die Türkei abgeschoben worden, wenn es nach dem Ausländeramt Bremerhaven ginge. Ärzte haben festgestellt, dass Dogan, der seit 1997 in psychiatrischer Behandlung ist, offenbar unter den Folgen von Folter leidet („angstneurotische Persönlichkeitsstörung“). Das Ausländeramt wollte den Kurden daher in Begleitung eines Arztes ins Flugzeug setzen, der den Mann notfalls mit einer Spritze „ruhigstellen“ könnte und in Ankara einem „Vertrauensarzt der deutschen Botschaft“ übergeben.

Das Verwaltungsgericht hat diese Form der Abschiebung gestoppt und dem juristischen Vertreter des Ausländeramtes klar gemacht, dass er mit einer Ablehnung rechnen müsse, wenn er sich nicht auf einen Vergleich einlassen würde. Die Duldung von Dogan wurde daraufhin um ein Jahr verlängert. Dann müssen möglicherweise wieder Ärzte auf der Zeugenbank des Verwaltungsgerichtes sitzen.

„Dass sich Ärzte dazu hergeben, unter Bruch des hypokratischen Eides psychisch schwer kranke Menschen, deren Suizidalität von Ärzten des Gesundheitsamtes und in Krankenhäusern festgestellt worden ist, bei einer Abschiebung gegen ihren Willen in die Türkei zu begleiten, ist ein Skandal“, hatte der Anwalt des Kurden, Eberhard Schultz, vor Gericht vorgetragen. Die Abschiebung verstoße gegen das Folterverbot nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Aus einem internen Bericht des Bundeamtes für Asylbewerber gehe zudem hervor, dass die türkischen Behörden die Übergabe an einen türkischen Vertrauensarzt der deutschen Botschaft im Zweifelsfall untersagen könnten. Die angemessene Behandlung von kurdischen Folteropfern sei in der Türkei zudem nicht sichergestellt – insbesondere nicht in den Siedlungsgebieten der Kurden.

Im ursprünglichen Asylverfahren waren die Folter-Angaben von Dogan nicht in Zweifel gezogen worden. Der Antrag war abgeleht worden mit der Begründung, es gebe Gebiete in der Türkei, in denen Dogan nicht mit weiterer politischer Verfolgung rechnen müsse.

Entscheidend war für das Verwaltungsgericht nun die ärztlich dokumentierte Suizid-Gefährdung. „Dieses Risiko ist uns zu hoch“, erklärte der Richter. Die Ausländerbehörde müsse nach einem Jahr überprüfen, ob der psychische Zustand des Kurden sich wieder stabilisiert habe.

Der als Zeuge vernommene Psychotherapeut hatte ausgesagt, dass der Zustand seines Patienten sich gerade im Vorfeld der drohenden Abschiebung deutlich verschlechtert habe. So könnte sich in einem Jahr der Teufelskreis wieder in Gang setzen. kawe