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Archiv-Artikel

LONG PLAYING RECORD Jukebox - Der musikalische Aszendent

Zur Strafe 100 x schreiben: Ich will Spaß

Ich hab jetzt keine Lust mehr. Immer Spaß. Die reinste Tyrannei. Wenn man ein Phantombild von einer prototypischen, dezent undergroundigen Berliner Band derzeit aufmalen müsste, hätten die Menschen bestimmt komische Klamotten (eher Klamottenähnliches) an, würden hyperventilierend und marktschreiend über die Bühne springen. Und wären überhaupt über alle Maßen juxig. Ein bisschen Spaß geht immer.

Als Metalclash-Bänkerlieder, wie von Transformer Di Roboter. Als ausgebuffte NdW-Travestie, wie bei Die Türen. Als Mummenschanz mit gemeinsamem Händeklatschen, wie bei Mocky. Die alle am vergangenen Wochenende beim Summerize-Festival in der Kulturbrauerei zu hören waren und nur den Bestand an den Bands und Künstlern in der Stadt mehren, die das Unterhaltungsgeschäft als prima Luftmatratze für Rollenspiele betrachten, wo man als tendenziell offenes System bereits mit den Fußnoten zu den Zitaten um sich wirft und sich überhaupt nicht mehr auf irgendwas festschreiben lassen will. Alles Travestie. Tarnkappen. Aus dem Hinterhalt schießen. Was man mit guten Gründen als einen emanzipatorischen wie zivilisatorischen Fortschritt werten darf (um der Sache wenigstens irgendwas abzugewinnen). Und auch als Krabbelgruppe, in der gestandene Erwachsene noch einmal freiwillig in die Knie gehen. Gar nicht so weit weg von der Aufforderung von Tony Marshall: „Heute haun wir auf die Pauke“.

Wovon natürlich noch kein Abendland untergegangen ist. Aber als reaktionärer Kulturpessimist wünscht man sich doch ein Stück mehr an aufrechter Depression. Da packt einen die Sehnsucht nach der Zeit, als sich noch ein Nick Cave in der Stadt herumtrieb und die Einstürzenden Neubauten tatsächlich was galten. Irgendwo dazwischen drin Crime & the City Solution mit dem jungen Alexander Hacke, ein weiterer australisch-Berliner Austausch, der mir fast noch besser gefallen hat als die Bad Seeds, mit der gleichen juvenilen Zerquältheit. Dunkler Samt und tiefe Wasser, mit fiebergeträumten Melodien, dem Glauben an die Gitarre und eine um Erlösung flehende Geige von Bronwyn Adams. So viel an niedergeschlagener Empörung tropfte hier aus waidwundem Herzen. Fast wollte man glauben, dass Musik wirklich eine existenzielle Sache sei. Ernsthaft, ja: „All must be Love“, wie es gleich zum Auftakt ihres 88er-Albums „Shine“ heißt.

Natürlich ist das ein großer Kitsch. Und so schön. Aber röhrende Hirsche brüllen eben immer noch ein Stückchen inbrünstiger. THOMAS MAUCH