: Der Chefankläger klagt
Generalstaatsanwalt Neumann wirft dem rot-roten Senat monatelange politische Einflussnahme auf die Tempodrom-Ermittlungen vor. Seine Behörde sei „Sammelsurium von Angriffen“ ausgesetzt
VON STEFAN ALBERTI
In drastischer und ungekannter Weise hat Berlins Chefankläger dem rot-roten Senat Einflussnahme auf die Tempodrom-Ermittlungen gegen die aktuellen und früheren Regierungsmitglieder Thilo Sarrazin, Peter Strieder und Volkmar Strauch (alle SPD) vorgeworfen. Der Generalstaatsanwalt am Kammergericht, Dieter Neumann, wandte sich „gegen die letzten sechs Monate öffentlicher Kritik des Senats an der Arbeit der Staatsanwaltschaft“. Er wisse nicht, wie die Ermittlungen ausgehen würden. „Ich weiß nur, dass wir unbefangen nicht mehr sind“, sagte Neumann gestern im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses.
Die Worte in Raum 113 des Parlaments kamen nicht vom anderen Generalstaatsanwalt des Landes, Hansjürgen Karge. Der liegt bekanntermaßen über Kreuz mit Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) und polterte im Streit mit ihr schon mal. Nein, die Frontalkritik kam eben von Neumann, jenem kaum 1,70 Meter großen Mann mit den nach hinten gelegten weißen Haaren, mit der ruhigen Stimme, von dem bislang kein böses Wort über die Landesregierung zu hören gewesen war.
Anlass der Diskussion im Rechtsausschuss war ein Schreiben an die Staatsanwaltschaft. Darin geht Schuberts Justizverwaltung, die die Fachaufsicht über die Anklagebehörde führt, auf ein Zwischenresümee der Tempodrom-Ermittlungen ein, die so genannte rechtliche Würdigung. In dem Schreiben bezeichnet der zuständige Abteilungsleiter der Justizverwaltung die Anklageargumentation als „nicht tragfähig“ und „ersichtlich zu kurz gegriffen“. Justizstaatssekretär Christoph Flügge (SPD) hatte das Schreiben gebilligt. Schubert sagte, sie habe es wegen ihres Urlaubs erst gesehen, nachdem es schon an die Staatsanwaltschaft gegangen war. Sie sieht darin rein interne Verwaltungsvorgänge: „Ich weiß nicht, wer das Ding an die Öffentlichkeit gebracht hat.“
Dieses Schreiben sei „Startschuss zu einer öffentlichen Steinigung“ seiner Behörde gewesen, sagte Neumann. Seinen Vorwurf der Einflussnahme richtete er aber ausdrücklich nicht gegen das Schreiben oder die Justizsenatorin, sondern gegen den Senat. Seit März, als die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen Strieder auf Sarrazin und Strauch ausweitete, sei die Behörde „einem Sammelsurium von Angriffen“ ausgesetzt. „Es ist kaum noch zu ertragen“, sagte Neumann. Die Zielrichtung sei deutlich: die Staatsanwaltschaft dazu zu bringen, dass es nicht zu einer Anklage kommt.
Neumann ging explizit darauf ein, dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) – auch er hat Jura studiert – die Vorwürfe öffentlich als juristisch nicht haltbar bezeichnete. „Hier wurden die Grenzen der Trennung zwischen den Gewalten überschritten“, sagte der Generalstaatsanwalt. Damit verwies er auf die klare verfassungsgemäße Aufteilung in Regierung, Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, die im jeweils anderen Bereich nicht zuständig sind. So etwas habe er noch nie erlebt, sagte Neumann, da sei „die Grenze zu dem überschritten, was die Staatsanwaltschaft ohne Widerspruch ertragen kann“.
Der Rechtsausschuss reagierte höchst unterschiedlich. Für Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann war die von Neumann befürchtete Befangenheit „das Schlimmste, was man einer Anklagebehörde voranstellen kann“. Der SPD-Abgeordnete Fritz Felgentreu hingegen sah keine Notwendigkeit, länger über Neumanns Befürchtungen zu sprechen, „weil wir heute noch eine wichtige Zukunftsfrage zu klären haben“. Er meinte Tagesordnungspunkt 2: die Zusammenlegung von Obergerichten in Berlin und Brandenburg.
Justizsenatorin Schubert widersprach einem Vorwurf der CDU, sie würde sich nicht vor die Staatsanwaltschaft stellen: Das habe sie im Februar getan, als der SPD-Landesvorstand die Behörde attackierte, und das würde sie auch jetzt tun. Senatskollegen würde sie durchaus widersprechen, wenn sie die Staatsanwaltschaft angingen. Das geschehe aber privat und nicht öffentlich, sagte Schubert: „Ich gehe nicht an die Presse und sage: Ich bin mit der Äußerung des Regierenden Bürgermeisters nicht einverstanden.“
Neumann hatte ihr bei seinen Worten ausdrücklich zugute gehalten, dass Schubert der Staatsanwaltschaft im Frühjahr den Rücken stärkte. Zur drohenden Befangenheit der Anklagebehörde sagte Schubert nichts.