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Archiv-Artikel

Der Marmeladeninspektor

Was macht eigentlich der ehemalige UN-Waffenprüfer Hans Blix? Er kocht ein

„Senfgas herzustellen ist ganz sicher nicht dasselbe wie Konfitüre herzustellen“

Vielleicht wird sich Eva Blix ebenso vor diesem Moment gegrault haben wie schon Millionen Frauen vor ihr. Denn die Pensionierung ihres Hans rückte immer näher, und dann würde der Kerl ständig zu Hause sein und ihr mangels Beschäftigung ganz furchtbar auf die Nerven gehen. Schon beim Frühstück würde er sich erkundigen, was denn zum Mittagessen geplant sei, anschließend gelangweilt durchs Fernsehprogramm zappen, dann halbherzig mit dem Lösen eines Kreuzworträtsel beginnen, um schließlich zu verkünden: „Ich geh jetzt runter, den Keller aufräumen!“ Eine Viertelstunde später wäre er wieder da, weil er mal kurz auf der Arbeit anrufen müsste, „um zu sehen, ob da auch alles klappt“ – und so wäre der Rentner an diesem Morgen bereits um Viertel vor zehn in höchster Gefahr, mit einem kantigen Gegenstand erschlagen zu werden. An diesem Morgen? An jedem Morgen, um genau zu sein.

Eva Blix wird deutlich weniger Angst vor dem Ruhestand gehabt haben als die meisten anderen Frauen. Denn der Waffeninspektor Hans hatte in Interviews immer wieder erklärt, dass die Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten für einen 74-Jährigen zwar beschränkt sind („Ich lebe wie ein Mönch“), aber er durchaus einige Liebhabereien pflege. So sammele er antike Teppiche und erlesene Bordeaux-Weine. Was bei den meisten Gattinnen die Alarmsirenen schrillen ließe bei der Aussicht, dass der Alte plane, ständig verstaubte Bodenbeläge anzuschleppen und sich abends zu besaufen. Aber das alles ließe Eva wohl völlig kalt. Denn Herr Blix hat noch weitere Hobbys. Das Zubereiten skandinavischer Fischgerichte etwa.

Am allerliebsten aber kocht Hans Marmelade ein – und steht auch ganz öffentlich dazu. Im November 2002 hatte er in einer Rede vor dem Weltsicherheitsrat den klebrigen Fruchtaufstrich ausdrücklich erwähnt: „Senfgas herzustellen ist ganz sicher nicht dasselbe wie Konfitüre herzustellen, deswegen würde man in jedem Fall Aufzeichnungen finden!“, sagte er damals. Kurze Zeit später verschaffte er sich sogar einen vollständigen Überblick über die Saddam’schen Marmelade-Vorkommen.

Anfang Dezember 2002 führten die UN-Inspektoren eine unangemeldete Kontrolle in einem der Bagdader Paläste des Diktators durch. Auf den später ausgestrahlten Fernsehbildern waren 17 Blix-Untergebene zu sehen, die mit Taschenlampen ausgerüstet in einem Vorratsraum vor großen Kühlschränken stehen. „Marmelade“, beschreibt einer enttäuscht den Inhalt. Der Inspektor Demetrius Perricos wird später erzählen, Kühlschränke könnten durchaus als Vorratskammern für bestimmte biologische oder chemische Waffenkomponenten benutzt werden, daher habe er den Inhalt der Gläser genau gecheckt.

Ob Hans Blix durch diesen Fund inspiriert wurde, ist unklar. Einem Journalisten der norwegischen Zeitung Dagbladet gelang es jetzt jedoch, sich bei dem Ruheständler „sehr höflich“ nach Tipps für die erfolgreiche Marmeladenherstellung zu erkundigen. Der Rentner sei zwar „zunächst durchaus überrascht“ gewesen, aber dann habe es doch nur „wenige Sekunden gedauert, bis er das offizielle Marmeladenrezept der Familie Blix gefunden hatte“.

Pomeranzen und bittere Apfelsinen seien seit je seine Lieblingszutaten, verriet Blix, „man kann aber auch eine Mischung aus Orangen und Grapefruits oder Zitronen verwenden“. Wichtig seien vor allem die Kerne und die weißen Häutchen, die die Früchte umschließen. Die werden in einem Extrabeutelchen mitgekocht, „denn sie enthalten viel Pektin, und das macht die Marmelade steif“.

Die für die Rezeptur nötigen 1,5 Kilo Apfelsinen zerkleinert der Renter dabei selbst, „in der Küchenmaschine werden die Stücke zu grob“. Über Nacht legt Blix die Orangen in 1,5 Liter Wasser ein, erst am nächsten Tag wird die Mischung 45 Minuten lang mit dem Kernbeutelchen gekocht. Dann werden zwei bis zweieinhalb Kilo Zucker eingerührt, „eine Stunde lang muss das Ganze dann ohne Deckel kochen, bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Drei Teelöffelchen Zitronensäure werden ganz am Schluss, nachdem die Kerne herausgefischt wurden, hinzugegeben.“ Diese von ihm „sehr häufig zubereitete“ Marmelade halte sich „ziemlich lange“, erklärte Blix stolz.

Das wiederum klingt gar nicht gut. Und so ist Eva Blix mit ihrem am Kochtopf hochaktiven Rentner vielleicht doch nicht so glücklich. „Hans“, schreit sie ihn nun möglicherweise schon um Viertel vor zehn am Morgen an, wenn er wieder einmal kiloweise Orangen und alle anderen Zutaten auf der Anrichte verteilt. „Hans, jetzt reicht es. Ich weiß gar nicht mehr, wohin mit der ganzen Marmelade! Frau Annan hat mich schon letzte Woche angerufen – Kofi hasst das Zeug! Kannst du nicht bitte, bitte mal ein hübsches Kreuzworträtsel machen? Oder endlich den Keller aufräumen?“

ELKE WITTICH