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Archiv-Artikel

Fehlgeburt auf Italienisch

Italiens Volleyballer schlagen Frankreich 3:2 und werden Europameister. Trainer Montali weiß ganz genau, wem sie das zu verdanken haben – ihm nämlich. Wo Bach geboren ist aber weiß er nicht

aus Berlin FRANK KETTERER

Die Statements über das große Finale waren ausgetauscht, was gesagt werden musste, längst gesagt. Zum Beispiel von Philippe Blain. Blain ist Nationalcoach von Frankreichs Volleyballern, und weil diese gerade das letzte Spiel dieser Europameisterschaft mit 2:3 im Tie-Break verloren hatten gegen Italien, war er just in diesem Moment etwas hin- und hergerissen zwischen Freud und Leid. Monsieur Blain sagte: „Wir haben auf hohem Niveau Volleyball gespielt und ich bin stolz auf unsere Leistung.“ Darüber freute er sich. Er sagte aber auch: „Wenn man verliert, tut es immer weh.“ Und wie weh es tat, konnte man auch an den traurigen Augen von Stephane Antiga ablesen sowie heraushören aus seiner müden Stimme. Antiga ist der Schmetterstar der Franzosen. Antiga sagte: „Es war trotzdem eine sehr gute EM für uns mit einem guten Ergebnis.“ Trotzdem, das sollte heißen: Obwohl das hochklassige Finale verloren gegangen und der Schluss damit nicht ganz so glücklich geraten war. Dann griff Andrea Giani zum Mikrofon. Giani ist bei den Italienern das, was Antiga bei den Franzosen ist: der Star. Giani stellte fest: „Wir haben schon lange nicht mehr auf dem Podium gestanden. Das ist eine große Ehre.“

Dann begann das Warten, das erfolglos bleiben sollte. Auch eine knappe halbe Stunde später war nämlich nichts zu sehen von Gian Paolo Montali. Montali ist der Trainer des neuen Europameisters – und natürlich hätte die versammelte Weltpresse gerne gewusst, was er zu sagen hat zum Triumph der Seinen. Doch nachdem man dem unter all den Riesen eher zwergenhaft wirkenden Coach den Pokal in die Hand gedrückt sowie die goldene Medaille um den Hals gehängt hatte, war nicht mehr viel zu sehen von ihm, auf der abschließend Pressekonferenz schon gleich gar nichts. Montali schwänzte die Veranstaltung einfach, was in all der Siegestrunkenheit bestimmt mal vorkommen kann, andererseits doch recht ungewöhnlich ist für den kleinen Signore. Für gewöhnlich hält der Meistermacher nämlich gerne Hof und referiert über seine Kunst des Meistermachens. Dass Volleyball Arbeit bedeute, Arbeit, Arbeit, Arbeit. Dass er bei dieser Arbeit Perfektionist sei und nichts dem Zufall überlasse, was man schon daran erkennen kann, dass bereits während der einzelnen Sätze die Spielzüge des Gegners per Computer analysiert und das Ergebnis dem Chef zugetragen wird, selbst auf der Trainerbank steht zu diesem Anlass ein Laptop. Dass auf dem Feld ein Rädchen ins andere greifen müsse, wie bei einer perfekten Maschine, und dass er, nur um im Bild zu bleiben, der Ingenieur dieser Maschine sei – und ihr erster Maschinist noch gleich mit dazu.

Manchmal passt Herr Montali seine Ausführungen zum Thema sogar dem lokalen Umfeld an, nach dem letzten Vorrundenspiel in Leipzig war das zum Beispiel so: Dort verglich er seine Mannschaft mit einem Orchester, in dem sechs gleichberechtigte Geiger für Wohlklang zu sorgen hätten (und natürlich für Punkte) – selbstredend unter seinem Dirigat. In Leipzig, so dachte sich Montali, müsse man dieses Bild doch verstehen, „schließlich ist hier Bach geboren“. Den Einwand, dass der große Johann Sebastian keineswegs in Leipzig geboren sei, sondern dort nur segensreich gewirkt habe, ließ Herr Montali übrigens nicht gelten. „Natürlich ist Bach in Leipzig geboren“, bestand er auf seiner musikalischen Geschichtsfälschung, was dreierlei zur Erkenntnis brachte: 1.) Der italienische Trainer hat immer Recht. 2.) Wenn der italienische Trainer mal nicht Recht hat, ist er immer noch der italienische Trainer und Punkt eins tritt in Kraft. 3.) Johann Sebastian Bach wurde in Eisenach geboren. Aber das ist natürlich nicht wichtig in einem Land, das sich mit Komponisten wie Verdi oder Rossini begnügen muss, dafür aber immerhin gerade Volleyball-Europameister geworden ist. Und in diesem Punkt hat der kleine Gian Paolo nun wirklich alles richtig gemacht, und das auch noch in kürzester Zeit. Zuletzt nämlich waren die Italiener, in den 90er-Jahren das unbestritten beste Team der Welt, etwas ins Hintertreffen geraten, und das, obwohl sie sich mit der Liga A Uno den wohl teuersten Spielbetrieb der Welt leisten und die besten Spieler gleich mit. Dass bei der WM im letzten Jahr dennoch lediglich Rang fünf heraussprang, wurde in Bella Italia als Schmach empfunden – und hat Montali seinen Job eingebracht. Der sieht die EM übrigens lediglich als Durchgangsstation, das große Ziel für den kleinen Mann lautet schon jetzt einzig und allein Olympia und Athen. Mal sehen, wer dort nicht geboren wurde.