: „Die Montagsdemos sind nur eine Episode“, sagt Dieter Rink
Der Protest gegen Hartz IV wird wachsen – und wieder verschwinden. Denn der Bewegung fehlen Ziel und Ideen
taz: Herr Rink, waren Sie überrascht, dass vergangenen Montag trotz der Zugeständnisse der Regierung doppelt so viele Menschen gegen Hartz IV demonstrierten wie zuvor?
Dieter Rink: Nein. Das ist ein typischer Mechanismus, wenn der Gegner – in diesem Fall die Regierung – schnell Zugeständnisse macht. Das wird als Zeichen von Schwäche gedeutet und führt zu einer Verstärkung der Proteste. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht, den werden die Proteste in zwei bis drei Wochen erreichen. In Leipzig könnten dann bis zu 50.000 Demonstranten kommen.
Und was passiert danach?
Die Regierung wird substanzielle Zugeständnisse machen. Es müsste jedoch ein Entgegenkommen sein, das zwar losgelöst ist von Hartz IV und doch auf die Forderungen der Proteste eingeht. Also beispielsweise Sonderkonditionen für den Osten oder ein neues ABM-Programm. Davon wird der Hauptteil der Protestkräfte absorbiert werden. Der Minimalkonsens zwischen den unterschiedlichen Demonstranten wird dann brechen. Das kann man zum Teil jetzt schon beobachten: Der DGB selber mobilisiert nicht, und Pfarrer Führer in Leipzig verweist auf die Zugeständnisse der Regierung.
Also keine Chance, das aus dem Protest eine soziale Bewegung wird?
Ich halte die Proteste für eine kollektive Episode, die in ein paar Wochen vorbei sein wird. Es müsste ein Ziel entwickelt werden, beispielsweise eine andere Form von Sozialpolitik. Es gibt aber bisher keine Anstrengungen, sich auf ein solches gemeinsames Programm zu einigen. Zumal die unterschiedlichen Gruppen ganz andere Ziel verfolgen – von der NPD bis zur PDS und DKP. Die Proteste haben zudem keine eigenen theoretischen Köpfe hervorgebracht, die über die Mobilisierung von Montag zu Montag hinausgehen.
Vielleicht stellt sich Oskar Lafontaine zu Verfügung. Als Redner in Leipzig hat er sich schon angemeldet.
Lafontaine als Redner wäre fatal. Den Protesten fehlt es an einer Identifikationsfigur und nicht an einem abgehalfterten Politiker aus dem Westen. Zudem würden alle Redner, die von außen kommen als Vereinnahmungsversuch gedeutet – sei es nun Lafontaine oder Milbradt.
Wer könnte eine solche Identifikationsfigur sein?
Sie müsste aus den Protesten kommen, wie zum Beispiel Herr Ehrholdt in Magdeburg. Dass jemand Identifikationsfigur wird, braucht jedoch Zeit, die den Protesten vorerst nicht bleibt.
Warum sind Sie sich so sicher, dass die Montagsdemos so schnell aufhören?
Es gibt keine historischen Vorbilder dafür, dass aus der Initiative von Erwerbslosen eine soziale Bewegung wurde. Es fehlen auch konkrete organisatorische Strukturen. Nicht jede Montagsdemo stürzt mal eben die Regierung.
Ist nicht die Großdemo am 3. Oktober in Berlin eine Überlebenschance für die Demos?
Da werden viele Kräfte noch einmal mobilisieren. Das könnte aber gleichzeitig der zentrale Schlusspunkt sein.
Die Proteste werden also über Nacht verschwinden?
Regional könnte es im Osten noch darüber hinaus zwei bis drei Mal einige Demos geben – aber mit drastisch sinkenden Teilnehmerzahlen.
Könnten trotzdem aus den Protesten eine Unterstützung der Linkspartei und PDS oder eine neue Parteigründung hervorgehen?
Die PDS wird als Protestpartei weiter und bei den Landtagswahlen gewinnen. Aber das weitere bezweifele ich, weil die Proteste lediglich aus der Angst geboren sind. Sie haben keine Visionen.
Der Kanzler sieht sich immerhin einer Volksfront gegenüber gestellt.
Dieser Begriff war wirklich ein Fauxpas. Denn mit dem historisch besetzen Begriff versucht Schröder die PDS als kommunistischen Gegner dingfest zu machen, trifft damit aber auch andere Parteien. Volksfront ist auch ein zu kräftiger Ausdruck, denn so stark sind die Kräfte gar nicht gebündelt. Sie treffen sich ja nur an einem einzigen Punkt und haben keine gemeinsamen Programme.
Dann wird die Taktik der Regierung aufgehen, alle Energie nun in die bessere Aufklärung über Hartz zu stecken?
Die Regierung hat sich taktisch bisher nicht sehr klug verhalten. Das ist doch ein Paradox – ein Zugeständnis machen und gleichzeitig sagen, das war das letzte. Das Vertrauen in diese Regierung ist ohnehin erschüttert. Die wirkt einfach nicht so fest. Daran ändern auch Anzeigen der Bundesregierung in Zeitungen nichts.
Was wäre eine kluge Reaktion auf die Proteste gewesen?
Anstatt mit der Volksfront einen Teufel an die Wand zu malen, hätte Schröder mit den Demonstranten in den Dialog treten sollen. Und das hätte er dann an die Medien geben sollen. Diesen Weg hat er sich jetzt schon ein Stück weit verbaut.
Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck meint, es ginge im Osten gar nicht um Hartz, sondern um das „Gefühl der Zweitklassigkeit“. Sind die Proteste deshalb im Osten erfolgreicher als im Westen?
Es geht nicht um Zweitklassigkeit, sondern um besondere Betroffenheit im Osten. In Westdeutschland ist zudem die Gelegenheitsstruktur der Montagsdemos nicht vorhanden. Im Osten ist bekannt, das man sich am Montag um 18 Uhr trifft. Es bedarf nur noch eines Aufrufs. Im Westen ist der organisatorische Aufwand wesentlich größer. INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER