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Archiv-Artikel

Am Platzl vorm Hofbräuhaus

„Die Leute saufen nicht mehr so viel wie früher“, klagt die WirtinSeitdem Alfons Schuhbeck am Platz ist, heißt eine Eissorte „Hofbräubier“

AUS MÜNCHENKIRSTEN KÜPPERSUND VOLKER DERLATH (FOTOS)

Eigentlich wollte sich Herr Gstettner* heute eine Hose kaufen. Bei Kaufhof am Marienplatz. Gstettner ist also los, aus der Tür raus, ins Auto. Und weil die Parkplatzsituation in München auch nicht so ist, wie man sie als Autofahrer wünscht, hat Gstettner den Wagen hinterm Isartor abgestellt, ist das letzte Stück zu Fuß. Und da ist er dann hängen geblieben. Am Platzl. Und ob aus der neuen Hose jetzt noch was wird, ist plötzlich wieder sehr offen.

Gstettner steht auf dem Platzl, diesem sehr bayrischen Fleck mitten in der Münchner Innenstadt, die Sonne scheint, Gstettner guckt auf das, was er sieht: das Hard Rock Café an der Ecke, das Sushi-Restaurant daneben, die robuste Familie aus dem Sauerland mit den Eiswaffeln in der Hand, auf die San Francisco Coffee Bar links und die Gruppe gut aussehender russischer Touristinnen, die vor dem Hofbräuhaus vorbeischlendert. Gstettner guckt, die Luft ist warm und das Unvermeidliche passiert: Gstettner bestellt bei der Kellnerin vom Ayinger-Wirt ein Weißbier.

Und wie man dann so unterm Sonnenschirm sitzt, der Hosenkauf ist schon ganz weit hinten im Kopf, und man weiter guckt, die Kellnerin im Dirndl bringt das kalte Bier, und man blickt nach nebenan, wo die japanische Warenhauskette „Mitsukoshi“ einen Souvenirshop betreibt, aus dem japanische Touristen Daunendecken und Bierkrüge herausschleppen; man sieht die Amerikaner aus Atlanta am Nebentisch, die sagen: „It’s a great place“, den Postkartenständer mit Che-Guevara-Karten, und aus dem Hofbräuhaus dringt Blasmusik – da kann man doch sehr ins Grübeln geraten über die Globalisierung und ihre Auswirkungen. „S’ hat sich scho’ viel verändert“, meint Gstettner und guckt in sein Bier.

Früher gab es am Platzl nur das Hofbräuhaus und für die Betrunkenen hinterher die Nachtbars mit den Striptease-Tänzerinnen. Es gab das „Theater am Platzl“, eine Gaststätte mit Bierfässern auf den Tischen, leeren Stuhlreihen und Schuhplattlergruppen auf einer Bühne. Und diese traurige Veranstaltung war auch nur eine müde Reminiszenz an das, was es am Platzl noch viel früher einmal gegeben hat: eine richtige Vergnügungsgaststätte nämlich, wo der Weiß Ferdl in Lederhosen auf der Holzbühne gestanden ist, Girlanden hingen oben von der Decke, die Speisekarte bot Bries-Milz-Wurst, und der Ferdl hat Grimassen geschnitten, dass der ganze Saal gebrüllt hat, und wie die Bally Prell mit hoher Stimme das Lied von der „Schönheitskönigin von Schneizlreuth“ gesungen hat, war es fast noch besser.

Von der dicken Balli Prell bis zum Hard Rock Café ist es ein weiter Weg, und um diesen Marsch nachzuvollziehen, bestellt der Gstettner noch ein Bier. Es liegt an der Verkehrsberuhigung, dass die Leute auch tagsüber in die Gegend ums Platzl kommen. Die alten Häuser wurden saniert, die Mieten wurden teuer, die Touristen kamen. Und Frau Holz, die Chefin fürs Servicepersonal im Hofbräuhaus, meint, die Funsportarten seien schuld.

Frau Holz hat gerade Pause und sitzt im leeren Hofbräuhaus-Festsaal hinter einem Teller Braten mit Salat. „Die Leute saufen nicht mehr so viel wie früher“, sagt Holz. Sie hat ein blasses Gesicht und kaut langsam. „Dass ein Arbeiter nach der Schicht ins Wirtshaus geht – das gibt’s fast nicht mehr. Die Leute treiben jetzt Funsport“, wiederholt sie –, dann klingelt das Handy, und wie sie jetzt am Telefon einen ihrer Kellner zurechtweist, ist man froh, dass man selbst keine wie sie zur Chefin hat. Etwas wie im „Donisl“-Keller in den 80er-Jahren wird mit einer Frau Holz so schnell nicht passieren. Dass die Kellner den Gästen K.o-Tropfen ins Bier mischen und die Brieftaschen klauen.

Unter dem strengen Regiment von Frau Holz sind beim Personal im Hofbräuhaus inzwischen 16 Nationen vertreten. Es gibt einen thailändischen Kellner und einen Chinesen, ungarische, russische und türkische Kollegen. Alles wegen der Touristen. Und wie die Service-Chefin das Handy wieder neben ihren Teller legt, sagt sie, dass die Zeit der Massenschlägereien in den Bierkellern ja auch vorbei ist.

Um die hübsche Einheit von Internationalität, Kommerz und Folklore am Platzl dauerhaft zu sichern, haben sich die ansässigen Wirte zu einer „Arbeitsgemeinschaft der Platzlwirte“ zusammengetan. Es lässt sich heute nicht mehr genau sagen, ob es im Frühjahr der Chef vom „Sushi-Duke“ war oder der Pächter vom Hofbräuhaus, der Ayinger-Wirt oder der Schuhbeck, der die Idee mit dem „Platzlfest“ hatte. Jedenfalls fand das Fest Anfang Juli statt. Und daran, dass eine Sambagruppe aufgetreten ist, hinterher eine bayrische Rockband, dass viel Bier geflossen ist und die Leute heute noch vom „italienischen Flair“ des Platzl schwärmen, kann man schon sehen, dass das Ganze im Sinne der Wirte gut funktioniert hat.

Aber „Platzlwirtgemeinschaft“ hin oder her, der „König vom Platzl“ bleibt natürlich der Alfons Schuhbeck. Jedenfalls sagen das seine Angestellten, und selbst der Gstettner hat ihn vorher in der Sonne beim Bier so genannt, als eine angenehme Schwere sich bereits über den Nachmittag gelegt hatte, die Pläne fürs Wochenende längst ins Abseits geraten waren und die meisten Menschen am Platzl nur still in der Hitze saßen und tranken.

Vor eineinhalb Jahren hat sich Alfons Schuhbeck als Sternekoch mit einer Kochschule, einem Feinschmecker-Restaurant und einer Eisdiele am Platzl eingekauft. Seither gibt es in München eine Eissorte, die nennt sich „Hofbräubier“. Der FC Bayern München feiert in Schuhbecks Lokal, die Münchner Bussi-Prominenz, und an diesem Abend werden es die Mitarbeiter der Stadtsparkasse sein.

Aber Alfons Schuhbeck wäre kein ernst zu nehmender Platzl-Monarch, wenn er sich nicht auch heute vor sein Restaurant stellen würde, um grantig zu behaupten: „Ich zahl beim Eis nur drauf.“ Eine Touristengruppe aus Korntal-Münchingen ist herangetrottet, weil sie sein Gesicht aus dem Fernsehen kennt. Sie nickt schuldbewusst. Und irgendwie kommt es, dass man über diesen Auftritt vom Alfons Schuhbeck den Hosenkäufer Gstettner ganz aus den Augen verloren hat. Der Stuhl, wo er beim Ayinger-Wirt eben noch gesessen war, ist plötzlich leer.

Weit hinten in der Lederergasse sieht man einen Mann mit gebeugten Schultern zwischen zierlichen Asiaten laufen. Die Touristen tragen den Tag in winzigen Fotoapparaten nach Hause, der Mann schwankt leicht. Es könnte der Gstettner gewesen sein. Wahrscheinlich war es ein anderer.* Name geändert