Spaß an der Macht

Während Feministinnen die Zumutungen des patriarchal geprägten Systems beklagten, scheute Heide Simonis keine Hinterzimmerrunde „unter Männern“ – und hat einzigartig Karriere gemacht

von HEIDE OESTREICH

Autobiografien von PolitikerInnen sind, zumal wenn die AutorInnen noch aktiv sind, meist Loblieder der schlichtesten Sorte plus einige erschreckend oberflächliche politische Ideen, die wirken, als hätte man sie im Vorbeifahren bei der Tankstelle mitgenommen.

Das ist auch bei Heide Simonis’ Zwischenbilanz „Unter Männern“ nicht wesentlich anders. Aber immerhin handelt es sich um die erste und einzige weibliche Ministerpräsidentin, zu der es dieses Land je gebracht hat. Warum ist diese Dame allein auf weiter Flur? Wie ist sie dahin gekommen? Ja, das erklären die 240 Seiten tatsächlich, allerdings zwischen viel politischer Prosa von der Art „Die schönsten Reden der Heide Simonis“.

Das Motiv, mit dem Simonis ihr Leben beschreibt, heißt: „Lass dich nicht von Widrigkeiten beeindrucken, mach, was du willst.“ Darunter könnte man noch ein anderes finden, eine Abneigung gegen Frauen und eine Hinwendung zu Männern. Über Männer nämlich verliert Simonis kein schlechtes Wort, über Frauen dagegen oft. Der Ursprung: Der Vater war liebevoll und unterstützend, aber schwach. Die Mutter dagegen eine frustrierte, dominante Hausfrau, die ihre Kinder „gängelte“ und der hochgeschossenen Tochter unter anderem Klassiker an den Kopf warf wie: „Du kriegst sowieso keinen Mann.“

Gegen die mütterliche Negativbestrahlung hat sich das asthmatisch-schwache Kind Heide offensichtlich früh ein dickes Fell zugelegt. So erklärt sich, dass vieles, was Feministinnen als Zumutungen eines patriarchal geprägten Systems beschreiben, ihr wohl weniger zu schaffen machte. Ein Ehemann, der sich doch einstellt, aber keine Hausarbeit übernehmen will und nörgelt, dass sie nächtelang in Parteiversammlungen hockt. Dem die studierte Volkswirtin erst einmal jahrelang auf seinen Karrierepfaden ins Ausland folgt, bevor sie überhaupt an einen eigenen Beruf denkt. In Kiel dann politische Hinterzimmer-Klüngel nachts um zwei, wenn „normale“ Frauen daheim bei der Familie sind. Oder Schleswig-Holsteiner, die bei ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin kummervoll ausstoßen: „Eine einzige Frau regiert das Land ganz allein! Das darf doch nicht sein!“

Das sind so Szenarien, mit denen Feministinnen erklären, warum Frauen keine politische Karriere machen wollen. Es nimmt deshalb auch nicht Wunder, dass Heide Simonis ihr Verhältnis zu den Frauenrechtlerinnen ihrer Generation als „ambivalent, um nicht zu sagen: schwierig“ bezeichnet. „Viele Frauen wollten sich am liebsten immer nur als Opfer sehen, im Kreis hocken, Selbsterfahrung betreiben und ihre Wunden lecken“, so das herbe Urteil der Politikerin über die weibliche Hälfte ihrer Generation. Die wiederum warf Simonis vor, eine „männliche Frau“ zu sein. Ihr offensichtlicher Spaß an der Macht, ihre Bereitschaft, sich dafür den Verhältnissen anzupassen, war den Bewegten zutiefst suspekt. Heute haben Politikerinnen sich in ihre Fußstapfen begeben. Junge Frauen lesen Karriereratgeber, im Kreis sitzen sie höchstens noch beim Power-Yoga. Heide Simonis hat sozusagen historisch Recht behalten. Das Erfolgsrezept ist banal und heute auch nicht mehr besonders ungewöhnlich, an ihrem konkreten Beispiel wird es dennoch interessant: Sie hat sich schlicht nicht entmutigen lassen. Nicht von der Mutter, nicht von schwerem Asthma, nicht von ihrem Mann, der etwa die Examenskandidatin mit fortwährenden Hinweisen auf ihr mangelndes Wissen verunsichert. Dem späteren Ehemann erteilt sie schlicht ein Kontaktverbot während der Examenszeit.

Praktisch. Überhaupt tat Simonis meistens das Naheliegende: Anstatt sich über mangelnde Chancen zu beklagen, nervt sie als Küken im Bundestag Fraktionschef Wehner so lange, bis er sie in den begehrten Haushaltsausschuss lässt. Dem hausarbeitsscheuen Mann begegnete sie mit Geschirrspülmaschine und Putzkraft. Bei nächtlichen Hinterzimmerzirkeln ist sie die Letzte, anstatt sie zu beklagen. Dem holsteinischen Bauern, der es nicht fassen kann, dass sie ihn nun regieren soll, begegnet sie mit sanfter Ironie: „Es war spürbar, dass er nichts gegen mich hatte, sondern nur so etwas wie den Untergang des Abendlandes befürchtete.“ Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser, beschreibt sie ihre plötzliche Nominierung als „Landesmutter“ nach Engholms Rücktritt. „Aber ich dachte: „Du kannst schwimmen!“

Was das Buch innerhalb des Genres „Politiker schreiben ihren eigenen Mythos“ besonders macht, ist eine gewisse Selbstdistanz: Dass sie als Frau ihre Chancen erhalten habe, weil es Männer vor ihr „aus der Kurve getragen habe“, nimmt sie trocken zur Kenntnis. Sie habe nicht nur aus Karrieregründen keine Kinder, sondern auch, weil sie insgeheim befürchtet habe, dass sich das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter wiederhole, gibt Simonis offen zu Protokoll.

Hier aber liegt natürlich auch einer der Schlüssel für die Karriere der Heide S.: Die Verantwortung für Kinder ist ein Handicap für erfolgreiche Politiker, die eigentlich kein Privatleben mehr haben. Sie hat noch einen anderen „privaten“ Vorteil: Einen Mann, der ihre Karriere nicht behindert und auch nicht beleidigt von dannen zog, als sie immer stärker im Zeitfress-Strudel Politik verschwand. Der es offenbar sogar aushält, dass sie erfolgreicher ist als er.

Es spricht für Simonis, dass sie diese Vorteile auch sieht. Denn in der Tat hat sie sich, teils zufällig, teils durch Verzicht, gut in die männlich genormte Politik eingepasst. Dafür, dass Ortsvereinssitzungen nicht mehr bis drei Uhr nachts dauern und Menschen mit Kindern auch daran teilnehmen können, wie sie selbst erleichtert feststellt, hat sie sicherlich nicht gesorgt.

Heide Simonis: „Unter Männern. Mein Leben in der Politik“. 240 Seiten, C.H. Beck, München 2003, 19,90 €