„Keiner wagt, Scharon zu stürzen“

Der Likud ist gespalten. Aber auch außerhalb von Scharons Partei glauben nicht mehr viele Israelis an einen nahen Frieden, sagt der Politikwissenschaftler Ascher Cohen

taz: Inwiefern ist die Abstimmung im Likud für den Parteivorsitzenden bindend?

Ascher Cohen: Es gibt keine rechtlichen Bestimmungen, die Sache ist eine parteiinterne Angelegenheit. Tatsache ist, dass sich der Parteichef wie ein Serienverweigerer der Parteibeschlüsse verhält. Im Mai gab es ein klares Ergebnis gegen den Abzugsplan. Scharon hielt sich nicht daran, und es ist kaum anzunehmen, dass er sich jetzt anders verhalten wird. Die Parteientscheidungen interessieren ihn nicht. Er setzt sich schlicht darüber hinweg.

Riskiert er damit nicht auf kurz oder lang, von den eigenen Leuten gestürzt zu werden?

Die Minister und Abgeordneten stehen mehrheitlich hinter ihm. Vorläufig wagt es niemand, ihn herauszufordern.

Welche politischen Alternativen gäbe es denn für den Abzugsplan?

Keine. Der Abzugsplan ist der einzige, der zur Debatte steht. Auch die radikale Linke hat im Moment nichts anderes im Angebot. Die einzige Frage ist pro oder kontra Rückzug aus dem Gaza-Streifen, und die Likud-„Rebellen“ sagen schlicht Nein.

Dementgegen hat sich der restliche Likud, der den Abzug befürwortet, sehr der Arbeitspartei angenähert. Ist – wenn es doch zu Neuwahlen kommt – mit Veränderungen in der israelischen Parteienlandschaft zu rechnen?

Der Likud ist heute eine Partei der Mitte. Abgesehen von der Wirtschaftspolitik, die sicher eher eine rechte ist. Aber auch die Arbeitspartei hat die Privatisierung vorangetrieben, von daher ist es schwierig, die Parteien nach westlichen Mustern links oder rechts einzuordnen. Aber die Wirtschaft spielt nicht die entscheidende Rolle. Politisch steht der Likud im Zentrum. Zwischen ihm und der nächstgrößeren Partei besteht eine tiefe Kluft. Der Likud ist mit 40 Mandaten in der Knesset vertreten, die Arbeitspartei mit nur 19. Der Likud ist also der zentrale Spieler. Die einzige Frage ist, wer schließt sich ihm an und wer nicht.

Es scheint aber doch, dass der Likud in zwei Lager gespalten ist?

Der Likud hat mehrheitlich das Prinzip der territorialen Kompromisse und der Räumung von Siedlungen akzeptiert. Das Prinzip ist klar. Was unterschiedlich ist, sind die Motive. Leute, wie Vizepremierminister Ehud Olmert glauben nicht wirklich an den Frieden. Das tut heute nur noch die radikale Linke. Das Einzige, was Olmert antreibt, ist die Angst vor demografischen Veränderungen, die für den Judenstaat kritisch werden können. Die Umfragen zeigen das im Übrigen ganz deutlich: Wenn man fragt, ob Frieden möglich ist, sagen die meisten Nein. Trotzdem ist die Mehrheit für die Auflösung von Siedlungen und den Abzug aus dem Gaza-Streifen.

Würde dies auch im Falle von Neuwahlen eine Rolle spielen?

Der Likud ist mit 40 Mandaten in einer so starken Position, dass er noch lange aushalten kann. Vor Ende des kommenden Jahres rechne ich nicht mit Neuwahlen.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL