Scharon kann nur weitermachen

Auf Mehrheiten in seiner Partei nimmt der Premierminister keine Rücksicht mehr: Auch sein Vorbild Begin schuf Frieden mit undemokratischen Mitteln

Scharons alter Widersacher Benjamin Netanjahu steht schon bereit

AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate zog sich Premierminister Ariel Scharon eine schwere innerparteiliche Schlappe zu. Vergeblich versuchte er noch kurz vor der Abstimmung über ein Zusammengehen mit der Arbeitspartei die Mitglieder für seinen Vorschlag „Koalitionsverhandlungen mit allen zionistischen Parteien“ zu gewinnen. Er warnte davor, die Partei „einer extremistischen Gruppe von Rebellen zu überlassen“, denjenigen, die seinen Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen zu vereiteln suchen. Die Likud-„Rebellen“ hatten dennoch die Mehrheit hinter sich: 843 der Anwesenden sprachen sich gegen eine große Koalition aus, nur 612 dafür.

Scharon wird in diesen Tagen oft an seinen Parteifreund aus alten Tagen, den ehemaligen Regierungschef Menachem Begin denken. Wie leicht hatte der es doch zu seiner Zeit, als er gegen den Willen seiner Partei und seiner Regierung Verhandlungen mit Ägypten führte, die im Ergebnis Israel den ersten Friedensvertrag mit einem Nachbarland brachten und ihm persönlich den Nobelpreis. Eine undemokratisch gefällte Entscheidung, so bewies Begin damals, muss nicht unbedingt die schlechteste sein.

Scharons großer Fehler war, dass er zu zuversichtlich war, die Mehrheit im Likud hinter sich zu haben. Deshalb initiierte er selbst die Abstimmung der Parteimitglieder über den Abzugsplan. Ihm war es gelungen, die USA zu „historischen Zugeständnissen“ zu bewegen, als Präsident George W. Bush im April öffentlich kundtat, dass es für die Palästinenser keine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 geben wird. Doch sein engster Verbündeter, die eigene Partei, zog ihm drei Wochen später einen Strich durch die Rechnung – und Bush musste zusehen, wie ein paar einflussreiche Parteifunktionäre Nahostgeschichte machen.

Seit Wochen laufen Koalitionsverhandlungen. Oppositionsführer Schimon Peres kämpft – auch gegen die zunehmend kritischen Stimmen innerhalb der Arbeitspartei – um sein letztes politisches Comeback und einen attraktiven Ministerposten. Die Schinui macht Zugeständnisse an die Orthodoxen und verstößt damit gegen ihr zentrales Versprechen an die Wähler. Und wieder kommen ein paar hundert Likud-Funktionäre und erinnern daran, dass man sie besser vorher um ihre Meinung hätte befragen sollen. Scharons Auftritt als Parteivorsitzender wird zunehmend zu einer Farce.

„Wenn ein Radfahrer anhält, fällt er hin“, zitierte die auflagenstärkste Tageszeitung Yediot Achronot den Regierungschef und folgert: „1.000 Donner, Gebrüll und Stimmabgaben bei der Parteivotierung werden ihn nicht aufhalten“, um seinen Abzugsplan voranzutreiben. Für den Parteichef sei es „zu spät um umzukehren“. Die Anstrengungen „eine stabile Regierung zu errichten, werden fortgesetzt“, verlautete gestern früh wenig überraschend aus dem Amt des Premierministers. Die Mehrheit des Likud steht offenbar nicht mehr hinter ihm, doch wirklich entscheidend für seine politischen Handlungsmöglichkeiten sind die Minister und Abgeordneten.

US-Präsident Bush muss zusehen, wie seine Nahostpolitik zerstört wird

19 zu 15 fiel die knappe Entscheidung unter den Likud-Knessetabgeordneten zugunsten Scharons aus. Ganze vier Stimmen Unterschied sind nicht gerade viel, angesichts der Tatsache, dass die Minister und Abgeordneten – im Unterschied zu Scharon – das Votum der Partei doch als bindend betrachten könnten: Diese Leute könnten sich bei allen weiteren wichtigen Entscheidungen hinsichtlich der Koalition – etwa dem Abzugsplan aus dem Gaza-Streifen – gegen ihren Chef stellen. Denn nicht zuletzt sind es die überwiegend renitenten Parteimitglieder, die die Hierarchie in der Führungsriege festlegen. Ihren Willen zu missachten könnte für die politische Laufbahn jedes Abgeordneten fatale Folgen haben.

Der Gedanke an den eigenen Posten war vermutlich für Außenminister Silvan Schalom ausschlaggebend dafür, gegen eine große Koalition zu votieren. Denn Oppositionschef Schimon Peres spekuliert darauf, in sein altes Ministerium zurückzukehren. Schalom gilt als „der große Gewinner“ der Abstimmung in der Nacht zum Donnerstag. Gut gelaunt versprach er, dass der Abzug aus dem Gaza-Streifen auch ohne die Arbeitspartei in Angriff genommen werden könne und setzte damit seinen politischen Zickzackkurs, mal pro mal kontra Abzug, fort.

Scharons innerparteilich stärkster Gegenspieler ist Finanzminister Benjamin Netanjahu, der, sobald er den rechten Zeitpunkt für gekommen hält, den Parteichef herausfordern wird. Der ehemalige Regierungschef verbucht als Finanzminister zunehmend Punkte für sich, da sein striktes Sparprogramm erste Erfolge zeigt, und der Staat den Tiefpunkt der Wirtschaftsmisere überbrückt zu haben scheint. Die parteiinterne Wahlschlappe Scharons ist ein Schritt auf Netanjahus Weg zu Neuwahlen mit dem Likud unter seiner Führung.