crime scene
: Widerstand

Die Herausgeberinnen der Ariadne-Krimis meinen es ernst. Seit Jahren bemühen sie sich redlich, den Leserinnen mit längeren programmatischen Vorbemerkungen den Spaß an der Lektüre zu verderben: Die „Herausforderungen einer zeitgemäßen Krimikultur“ bestehen darin, „gesellschaftliche Widersprüche und Ungerechtigkeiten auszuleuchten“, „Zweifel an kulturellen, moralischen, sozialen Selbstverständlichkeiten zu wecken“, und so weiter. Natürlich muss man das „nicht genauso sehen, man kann auch einfach die spannenden Bücher genießen“. Danke, aber ehrlich gesagt, ist einem genau das immer etwas schwer gefallen. Frauenkrimis mit einer ideologiekritischen Einleitung haben zumindest auf den ersten Blick den gleichen Charme wie feministische Proseminararbeiten. Eigentlich spricht darum nicht viel dafür, jetzt ausgerechnet den Ariadne-Band Nummer 1149 zu lesen. Aber Ida Swearingens „Nachtvogel“ ist zu gut, um ihn denen zu überlassen, die in Krimis unbedingt „eine Art Widerstandskultur“ entdecken wollen.

Kate Porter wird aus der Haft entlassen. Als Erstes geht sie eine dieser Kaffeebars, die es jetzt überall gibt. Dann macht sie sich auf die Suche nach dem Mann, der ihr ihre Kindheit und Jugend genommen und sie später für zwölf Jahre in ein Bundesgefängnis gebracht hat. Kate Porter will ihren Vater verraten, einen der einflussreichsten rechtsradikalen Terroristen und Waffenhändler Amerikas. Obwohl „Nachtvogel“ erst im vergangenen Jahr in den USA erschienen ist, erzählt der Roman also nicht von dem „war on terrorism“ in Afghanistan oder im Irak, sondern von dem stillen Bürgerkrieg, den selbst ernannte Patrioten wie Timothy McVeigh führen. Die Achse des Bösen läuft entlang der Heimatfront.

Interessanter als die offensichtlichen politischen „Widersprüche“, die den Hintergrund für diesen Roman bilden, sind allerdings Kates moralisch nicht immer ganz einwandfreie Motive.

Es geht um Geld und Rache, und sie war auch nicht ohne Grund hinter Gittern. Kate gehört zu den gebrochenen Helden, die in zeitgenössischen Thrillern meist keine Polizisten und Detektive sind, sondern Kriminelle. Gary Dishers australischer Berufsverbrecher Wyatt ist ein Musterexemplar dieser Gattung, und nach langem Warten ist nun endlich „Willkür“, der vierte Band der Serie, auf Deutsch erschienen. Es ist weniger die viel beschworene „Ganovenehre“ als der pure Selbsterhaltungstrieb, der Wyatt nach einem misslungenen Coup in der „roten Dreckswüste Südaustraliens“ dazu bewegt, den Kampf mit dem Melbourne-Syndikat aufzunehmen.

Dankbarerweise spricht am Ende des Romans nichts dafür, dass Wyatt sich auf einer Farm irgendwo im Outback zur Ruhe setzen wird. Natürlich gibt es aber auch die Sorte Verbrecher, die gar nicht anders können, als irgendwann in Pension zu gehen – einfach deshalb, weil sie im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Jef Geeraerts schreibt seit den Sechzigerjahren Romane und Krimis, in denen er sich mit der langen Geschichte der Korruption und des gesellschaftlichen Niedergangs beschäftigt, die sich in Belgien von der Kolonialzeit bis zum Dutroux-Prozess erstreckt.

„Der Generalstaatsanwalt“ heißt sein neuestes Buch. Die Hauptfigur ist ein echtes Schwein. Der Chef der belgischen Strafverfolgungsbehörden ist bestechlich, kaltherzig und gewissenlos, und das übrige Personal des Romans, in dem es um teure Pferde, Sex mit Abhängigen und halbstaatliche Intrigen geht, ist kein Stück besser. Perfekt. Jef Geeraerts ist vielleicht der einzige Thriller-Autor der Gegenwart, dem es gelingt, einen Roman zu schreiben, in dem es keinen einzigen moralischen Haltepunkt mehr gibt. Widerstand zwecklos. KOLJA MENSING

Gary Disher: „Willkür“. Aus dem australischen Englisch von Frank Nowatzki. Pulp Master, Berlin 2004. 252 S., 12 Euro Jef Geeraerts: „Der Generalstaatsanwalt“. Aus dem Niederländischen von Hans-Ulrich Jäckle. Unionsverlag, Zürich 2004. 313 S., 10,90 Euro Ida Swearingen: „Nachtvogel“. Aus dem Amerikanischen von Hiltrud Bontrup. Ariadne, Hamburg 2004. 214 S., 9,90 Euro