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Archiv-Artikel

Die Kinderlein kommen

Die 10. Bevölkerungsvorausschätzung für Hamburg geht nicht mehr von Geburtenrückgang aus. IGLU-Forscher Wilfried Bos warnt vor großen Kita-Gruppen. Initiative „Keine Kinder – keine Krippe“ erstattet Anzeige gegen Ole von Beust

von KAIJA KUTTER

Wie viele Millionen Euro sollte der Kita-Etat künftig haben? Bei dieser Frage spielt auch die Geburtenprognose eine Rolle. Der alte Schwarz-Schill-Senat nahm die veraltete 9. Koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung (KBV) zum Anlass, den Kita-Etat in der mehrjährigen Finanzplanung bis 2007 um 20 Millionen Euro zu senken. Bereits für den derzeit zwischen Senat und Kita-Verbänden hart umkämpfen Etat für 2005 ergab sich daraus eine Senkung um 10 Millionen Euro. Doch die realen Geburten scheinen sich daran nicht zu halten.

15.916 Kinder erblickten im Jahr 2003 in Hamburg das Licht der Welt, 15.707 und 15.786 waren es in den beiden Jahren zuvor. Damit pendelt die Zahl der künftigen Kindergartenkinder seit Ende der 90er um die 16.000er-Marke und geht und geht nicht zurück. Langfristig, so hört man vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, gebe es zwar auch in Hamburg weniger Babys. Doch für die nächsten fünf bis zehn Jahre profitiert die Stadt von ihrer Sonderstellung im Norden. Insbesondere aus Mecklenburg-Vorpommern wandern junge Frauen hinzu, die in der Dienstleistungs- und Medienmetropole Arbeit finden. Und die bekommen, erst einmal niedergelassen, irgendwann auch Kinder. Der Sache klingt paradox: obwohl die Rate der Geburten pro Frau mit 1,2 im Vergleich zum Bundesschnitt von 1,4 niedrig bleibt, gibt es absolut gesehen mehr Geburten, weil mehr junge Großstädterinnen.

Unterm Strich, so stellt nun die 10. KBV basierend auf Daten von 2002 fest, hatte die 9. KBV 25.000 Menschen zu wenig geschätzt. Doch noch sind diese Daten nicht offiziell. Das für politische Entscheidungen im Kita- und Bildungsbereich relevante Dokument weilt in der „internen Behördenabstimmung“.

Unterdessen spitzt sich der Kita-Konflikt weiter zu. Die Sozialbehörde hat für Montag eine Sondersitzung der Deputation anberaumt, in der das Kita-Einführungsgesetz durchgewunken werden soll, das den Senat ermächtigt, per Rechtsverordnung Kita-Kürzungen zu diktieren. SPD-Politikerin Andrea Hilgers deutet dies als „Druck machen“ auf die Kita-Verbände. Die wiederum gingen gestern inhaltlich in die Offensive und führten den Bildungsforscher Wilfried Bos an, der gerade in der IGLU-Schulstudie festgestellt hat, dass es zwischen Betreuungsstandards in Kitas und späteren Schülerleistungen einen Zusammenhang gibt. Bos: „Wir können nachher nicht sagen, wir hätten es nicht gewusst.“ Bürgermeister Ole von Beust weiß es offenbar nicht. „Man muss die Kirche im Dorf lassen“, erklärte er gestern. „Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Betreuung bei drei, vier Kindern mehr schlechter ist.“

Für seine leichtfertigen Einlassungen zum Kita-Thema wollen ihm nun die Frauen der Initiative „Keine Krippe – keine Kinder“ juristisch belangen. So habe der CDU-Mann bei der Präsentation des Kita-Kompromisses mit der SPD am 19. April im Rathaus zugesichert, dass es keine Minderung der Betreuungsqualität geben werde. Da die SPD in Folge dessen auf den Volksentscheid „Mehr Zeit für Kinder“ verzichtete und die Wähler nicht mehr darüber abstimmen konnten, haben sie gegen von Beust gestern eine Strafanzeige wegen „Wählertäuschung“ gestellt.

Bitterböse auf die CDU-Politik sind auch die Eltern des „Bündnis für familiengerechte Betreuung“. Sie wollen der Sozialsenatorin beim heutigen Familientag im Rathaus für die Pflege von Hamburgs Babys eine Wickel- und Füttermaschine vorstellen – vollautomatisch, versteht sich.