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Archiv-Artikel

Kalte Kräfte, heißer Scheiß

Ob schwülstige Fantasy-Ästhetik, barocker Neorealismus oder bittere Real-Romantik – die Malerei des Berliner Künstlers Martin Eder stiftet erfolgreich Verwirrung. Eine Ausstellung im Kunstverein Lingen

VON MEIKE JANSEN

Am Eingang sieht man zunächst eine verschämt den Blick senkende „Madonna“. Eingerahmt zwischen dem meterhohen Wort „Die“ und einer riesigen Zeichnung wirkt das etwa 80 mal 100 cm große, an eine Ikone erinnernde Porträt extrem präsent. Der Oberkörper der Frau ist nackt, von blauen Flecken übersät. Ihren Busen versucht sie, mehr schlecht als recht, vor den Blicken, die sie magisch anzieht, zu schützen. Auf der einen Brust prangt das Porträt desjenigen, der ihr Bildnis schuf, als ein schäbiges Tattoo. Wie hier in „Old Tattoos“ (2004) sei in jeder seiner Arbeiten etwas von ihm zu entdecken, erklärt der Berliner Künstler Martin Eder. Mal stellt die Decke über einem Bett den Bezug her, häufiger ein Selbstporträt, etwa als ein zu Stein gewordener Landschaftszug. So wie schon Dalí sich im gemalten Stein seiner Gemälde verewigte.

„Die Kalte Kraft“ ist die erste, verschiedene Bildzyklen verbindende Einzelausstellung von Martin Eder, die zugleich eine kompakt gestaltete Installation darstellt. Im Kunstverein Lingen, mitten im emsländischen Idyll, allerdings mit Blick auf den Knast und das Atomkraftwerk, kann der 35-Jährige endlich zeigen, wie er mit einem großzügigem Raum arbeitet. In einen von Eder komponiertem akustischen Wattebausch aus Vogelgezwitscher, Klaviertönen und Gesang gehüllt, wandelt man in dem zuweilen recht engen Gang entlang ausgewählter Ölgemälde der letzten zwei Jahre.

Die hohen Stellwände sind zu einem Rundgang geordnet, in dem man immer weiter den Worten „Die Phantasie wird nicht siegen – siegen“ folgt. Teilweise überlagert Eder die Schrift mit seiner typischen Mischung aus ungebrochen kitschigen Motiven: Flauschige Kätzchen oder traurige Cocker, süßlich übersteigert wie ein Vorstadtidyll aus den Filmen von David Lynch, werden von Hunden, die aus erschreckend leeren Augen starren, konterkariert. Die Hängung wie auch die Schrift wird von einer Serie Zeichnungen unterbrochen, die Eder einst in einem Athener Museum mit altgriechischen Statuen anfertigte. Die bis auf fünf Meter aufgeblasenen Schwarzweißzeichnungen belegen, dass Eder mit dem männlichen Astralkörper wenig sinnlich umgeht. Hier ist es ein krakeliger, kaum zu erkennender Pierrot, der seine Vorliebe für die Durchmischung von Gut und Böse aufgreift, dort ein dickbäuchiges Ei mit verkümmerten Beinchen. Selbstironische Gesten, die es erleichtern, Eder die auffällige Häufung entblößter, stets attraktiver junger Frauen in seinen Bildern nachzusehen.

Viel wichtiger ist jedoch Eders geschickte Verstrickung von Fantasien und real erlebten Szenen. Wie etwa bei „Klopfen auf Holz“ (2004), dem Porträt einer Frau, die er in Frankreich traf. Entspannt lächelnd liegt sie auf einem Sofa, neben ihr ein Hund, der sich Eder zeitweilig während eines Aufenthalts in Los Angeles anschloss. Der pinkfarbene, wolkenverhangene Himmel stammt aus Miami und wurde, wie auch die anderen Motive, zunächst als Foto festgehalten und dann, zumeist in den Farben stark überhöht, malerisch umgesetzt. Dass der Hund tatsächlich eines Tages, wie auf dem großformatigem Ölgemälde zu sehen, bei Eder mit einer Halskrause auflief, da seine Besitzer ihn kastriert hatten und er die Wunde nicht lecken sollte, gibt der düsteren Szene zunächst eine merkwürdige Leichtigkeit. Die so genau umrissene Wirklichkeit hat bei der Betrachtung von Eders Bildern, bei denen man nie weiß, was genau passiert, etwas Erleichterndes. Da ist es dann für einen Moment egal, ob das Sofa, auf dem die Diva lächelnd liegt, schwebt oder kurz davor ist, in schweren, violetten Fluten zu versinken. Eigentlich deutet nichts darauf hin. Aber ausgeschlossen ist nichts. Wenn man dann überlegt, warum der Hund oder das Tier im Mann, hier als kastriertes Wesen, die Dame auf dem vermeintlichen Untergang begleitet, setzt wieder Irritation ein. Die aber ist von Eder gewollt, der hofft, dass seine Bilder auch nach seinem Tod ihre Geheimnisse behalten.

Doch Bilder als Hort von Geheimnissen sind anscheinend nicht jedermanns Sache in unserer Mediengesellschaft, in der alles entschlüsselt und transparent zu sein hat. Das erklärt vielleicht den Vergleich einer Spiegel-Kritikerin, die in Eders Bildern „Frauen, die gerne nymphoman in der Gegend gucken“, sieht. Wie, bitte schön, soll das ausschauen, nymphomanes Gucken? Schwungvoll ist im Spiegel weiter fast nur von Lolita-Kunst und Kindfrauen die Rede. So mutieren der Künstler zum gut verkaufenden Provokateur und seine SammlerInnen zu schlitzohrigen Investoren, die noch ihr Schnäppchen machen, bevor die Preise ins Unermessliche anziehen. Dieser Verdacht gegen die neue Lust an der Malerei ist zwar nicht von vornherein unbillig, doch die Belege bleiben dünn.

Gleichgültig ob Malerei, Installation oder Musik: Der rote Faden in Eders Werk ist nicht nur das stetige Zwiegespräch von Schönheit und Hässlichkeit, sondern auch von Inhalt und Oberfläche, Witz und Bösartigkeit. Eder ist kein Diplomat, kein Grau-Nuancierer. Seine Bildwelten bestehen aus knalligen, lebensbejahenden Farben und zerstörerisch anmutenden Schmutzebenen oder schlicht aus Schwarz und Weiß. Sie haben eine enorme visuelle Kraft, der ein brillantes Handwerk zugrunde liegt. Sie verunsichern und erschrecken diejenigen, deren romantische Ideen mit einer makellosen Welt verknüpft sind.

Eders Malerei mag eine Labsal für Menschen sein, denen nach dem abstrakten oder konzeptuellen Overkill nach Romantik gelüstet, die aber nicht jeglichen Realitätssinn aufgeben möchten – deswegen muss sie nicht allein der heiße Scheiß für Investoren sein, die an der Wertsteigerung der Berliner Neorealismus-Maschine basteln. Nicht grundlos endet der Rundgang in der Kunsthalle Lingen dann auch in einer Ausstellungssituation, in der sich die Worte „nicht siegen“ und „siegen“ gegenüberstehen.

Bis 10. Oktober, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 20 Euro