: Unten auf der Dachterrasse
Olympische Spiele in ARD und ZDF: Experten sind befangen, Reporter miesepetrig, Moderatoren anbiedernd. Athen 2004 ist exemplarisch für die auf Event-Charakter gepolte Sportberichterstattung
VON JUTTA HEESS
Sie heißen Mikis Zementidis und Janis Komplizis und sind der Comedy-Pausenfüller der ARD in den Olympia-Sendungen. „Nix verstehn in Athen“, brüllen sie in Serie. Das soll lustig sein? Und überhaupt: Gehört so was zum Sportjournalismus?
Aber selbst abgesehen von Mikis und Janis: Der Unmut nimmt zu, überall, nicht nur in den Zeitungen. Am deutlichsten formulierte es der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg: „Es gibt ein viel zu großes Angebot. Gleichzeitig lassen es die Moderatoren an Einordnung und Distanz fehlen.“ Oder anders gesagt: Die Öffentlich-Rechtlichen verzichten zugunsten einer Emotionalisierung der Berichterstattung auf sportliche Kompetenz.
Es ist offenbar nicht die schlichte Information über den Ausgang eines Wettkampfs, die wichtig ist. Moderatoren und Reporter verwandeln sich entweder in Jubeljournalisten oder – was besonders bei den Schwimmwettbewerben deutlich wurde – in Unheilsverkünder. Vielleicht liegt es ja an ZDF-Nölsuse Christa Haas und ihrem permanenten Gezeter, dass die deutschen Athleten so langsam schwimmen: Keiner beeilt sich, um zum Haas-Interview zu kommen. Zur schlechten Stimmung trägt auch ihr Sidekick Stev Theloke bei, dem es nicht zu doof ist, über seine Mannschaftskameraden (Theloke selbst hat sich nicht für die Spiele qualifiziert) zu lästern. Nicht zu vergessen Kristin Otto, die sich auch gerne enttäuscht zeigt über das Abschneiden der Deutschen, hat sie doch selbst als Schwimmerin einer Nation, die durch systematisches Doping glänzte, sechs Goldmedaillen in Seoul gewonnen. Selbst wenn man insgesamt den Eindruck hat, die ARD komme wenigstens ein bisschen zurückhaltender daher – was vielleicht bloß daran liegt, dass man die ARD-Reporter nicht beim Namen kennt –, löchert Wilfried Mohren Franziska van Almsick nach ihrem 200-Meter-Freistil-Finale und belästigt Reporter Dominik Fischer auf der Tribüne ihre Eltern.
Neben dieser Beckenrand-Inquisition – die wahrscheinlich auch, sobald die zweite Königssportart Leichtathletik beginnt, direkt neben der Laufbahn ihre Fortsetzung findet – dominiert der Dachterrassen-Journalismus. Schon bei der Fußball-EM in Portugal konnte man im ZDF das Phänomen Dachterrasse bestaunen, ein Ort, der dem Anschein nach so etwas wie einen Stammtisch in luftiger Höhe darstellt. Das Talk-Pendant der ARD ist übrigens ein Schiff, auf dem Sportskanonen wie Verona Feldbusch und Rudi Carrell dumpfplauderten. An diesen exklusiven Orten der Sportberichterstattung wird besonders deutlich, was Weischenberg mit mangelnder „Einordnung und Distanz“ meint. Ehemalige Sportjournalisten, heute eher schlechte Entertainer (Johannes B. Kerner, René Hiepen beziehungsweise Reinhold Beckmann) bilden sich ein, sportliche Ereignisse ausdiskutieren zu müssen. Besonders aufdringlich präsentiert sich zudem Michael Steinbrecher, der im Olympia-Studio anbiedernde Interviews mit Sportlern führt.
Im Grunde ist die Olympia-Zumutung aus Athen exemplarisch für die gesamte Entwicklung der Sportberichterstattung. Es herrscht eine Fixierung auf den Live-Sport, sachkundige Hintergrundberichterstattung existiert seit dem Ende von „Sport unter der Lupe“ (SWR) und des „Sport-Spiegels“ (ZDF) fast nicht mehr. Das Kritische im Sport-TV beschränkt sich auf Gemecker über schlechte Leistungen deutscher Athleten. Als „nicht mehr machbar“ hat ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann Sportsendungen bezeichnet, die nicht überwiegend aus aktuellen Berichten bestehen. Die Mehrheit der Zuschauer wolle eben die Live-Übertragung. Eindeutig ein Quoten-Argument.
Sport muss heutzutage im Fernsehen offenbar als Event verkauft werden. Qualität wird gerne mal der Quote geopfert. Vielleicht hat diese Praxis jedoch zur Folge, dass die Zuschauer – und auch diejenigen Kollegen aus den Sportredaktionen, die ein anderes Verständnis von Sportberichten haben – bald genervt sind von dem Gegeier auf den ersten O-Ton einer noch tropfnassen Schwimmerin, dass sie bald die Nase voll davon haben, wenn Möchtegern-Experten gackernd und geifernd zusammensitzen und versuchen, Erfolge oder Versagen zu erklären. Und dass sie es nicht mehr ertragen können, wenn zum Beispiel Michael Steinbrecher mit gespielter Neugierde im Interview mit der Judoka Annett Böhm nach ihrem Studium fragt: „Was genau ist Sportmanagement?“ Wir fragen zurück: Was genau ist Sportjournalismus?