: Bologna-Kritiker: „Europa braucht keine Fachidioten“
Der Gegengipfel, der keiner sein will: Studis treffen sich zum European Education Forum, um Alternativen zum Uni-Europa der Minister zu diskutieren
taz: Studierende aus ganz Europa treffen sich ab morgen parellel zum europäischen Ministertreffen über den Hochschulraum Europa. Wie werdet ihr die Bildungsminister aufmischen?
Bastian Gronloh: Wir wollen niemanden aufmischen. Wir werden unsere Kritikpunkte an der rosaroten Euro-Vision der Bildungsminister fomulieren. Denn die ist alles andere als realitätstauglich – weder sozial noch akademisch.
Aber ein Gegengipfel wird’s doch wohl werden, oder?
Ich würde das nicht Gegengipfel nennen. In der Humboldt-Uni findet ein ‚European Education Forum‘ statt, zu Deutsch: ein Forum, das offen ist für alle Bildungsfragen – und für sehr verschiedene Gruppen von Studierenden, SchülerInnen und LehrerInnen. Bologna-Gegner, Bologna-Skeptiker genauso wie kritische Freunde der Bologna-Idee werden kommen.
Was kann man eigentlich gegen die 1999 in Bologna formulierte Idee haben, offene europäische Unis zu schaffen? Ist es etwa kein lohnendes Ziel, dass Studis künftig ein Studium in Aachen beginnen, in Madrid fortsetzen können, um dann in Breslau Examen zu machen?
Doch, das ist eine tolle Vision. Aber wenn man sich die Rahmenbedingungen und die Ziele des so genannten Bologna-Prozesses genauer anschaut, dann wird klar, wie luftig das ganze Projekt ist. Mit den Maßnahmen der Bildungsminister wird der Traum eines hindernisfreien Europastudiums bis 2010 nicht in Erfüllung gehen.
Was sind die Ziele, die euch nicht gefallen?
Warum versucht man zum Beispiel, unbedingt einen zweistufigen Abschluss einzuführen?
Bachelor und Master …
… genau. Kein Studierender hätte was dagegen, nach sechs Semestern einen Abschluss in der Tasche zu haben, mit dem er oder sie auch Geld verdienen kann. Nur wird gleichzeitig das Studium verschult und die Chance verkleinert, während des Studiums mal nach rechts und links zu gucken. Das finden wir nicht gut. Europa braucht keine Fachidioten, die ein Schmalspurstudium ohne jede akademische Freiheit absolviert haben. Das ist aber genau das, was derzeit passiert.
Die Bildungsminister zwischen Helsinki und Rom werden für sich reklamieren, dass sie das ganz anders beschlossen haben.
Klar steht das nicht in den Communiqués – aber es passiert allzu oft. Die Bundesrepublik ist da ein besonders extremes Beispiel. Die Studierendenvertretungen in Europa sind sich einig, dass nirgendwo so viel Mist gebaut wird bei der Umsetzung der Bologna-Beschlüsse wie hier.
Warum?
Es geht nur darum, die Studienzeiten zu verkürzen. Und nur einen Teil der Bachelor-Absolventen zum Masterstudium durchzulassen. 50 Prozent sollen aussortiert werden. Die deutschen Kultusminister haben die Studentenabwehr zu einem ihrer erklärten Ziele gemacht.
Was sagt ihr zum akademischen Euro, zur Tauschwährung der Studienleistungen? Das „European Credit Transfer System“ soll Scheine und Seminarzeugnisse europaweit vergleichbar machen.
Das, was da beabsichtigt ist, geht gar nicht. Man kann ein Studium in seiner Quantität und Qualität nicht europaweit vergleichbar machen. Eine simple Zahl ist nicht ausreichend, um den Studienfortschritt oder die Talente eines Studierenden angemessen darzustellen.
Der Student – das komplexe Gebilde?
So schwierig wäre es gar nicht, individuellem Studierverhalten gerecht zu werden. Aber das scheitert schon auf der simplen administrativen Ebene. Die Minister haben die Einführung eines so genannten Diploma Supplements beschlossen. Das ist ein erklärender Text darüber, was in den einzelnen Uni-Kursen stattgefunden hat. Das Supplement gibt es aber bis heute so gut wie nirgendwo in brauchbarer Form.
Haben Studierende Zutritt zur Konferenz der Minister?
Ein paar Skandinavier haben nationale Delegationen von Studis schon bei den Vorbereitungen beteiligt. In Berlin sitzt auch der europäische Dachverband der Studierendenvertretungen (Esib) mit am Tisch. Die dürfen was sagen – aber nicht abstimmen.
Lassen sich die Vertreter der Studierenden auch bei eurem Forum blicken?
Die meisten: ja. Ich finde, es ist kein Widerspruch, hier wie dort mitzumachen.
Aber ist das nicht eine Spaltung der Studierendenschaft: hier die Studis am Katzentisch der Macht – dort die machtlosen Kritiker?
Ach, das glaube ich nicht. Es mag für einzelne Leute ein Konflikt sein. Wer bei den Ministern am Tisch sitzt und sich dann die Kritik der Studis anhört, der wird schon merken, dass er da keine konsistente Rolle zu Bologna spielen kann. Aber die Esib-Leute sind ja nicht doof, die werden nicht drinnen bei den Ministern jubeln und draußen schimpfen. Die nutzen halt jede Möglichkeit, ihre Position zu artikulieren.
Wie wird euer Bildungsforum ablaufen?
Wir veranstalten morgen und am Freitag über 50 Workshops, die alle Aspekte von Bildung thematisieren werden – von Mitbestimmung bis Zugang. Wir wollen, dass die Studierenden die Chance haben, ihre Sichtweisen einzubringen. Die beiden Hauptpodien werden sich mit dem Bologna-Prozess und dem Welthandelsabkommen zu Gats befassen.
Wie viele werden kommen?
Wir rechnen mit 1.000 Leuten. INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER
Programm: www.eef2003.de