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Archiv-Artikel

Hollywood in Ewigkeit

Die Tragik der Schönheitsoperation: Beim größten Theaterfestival der Vereinigten Staaten, dem Fringe Festival in New York, kommt es zu belebenden Kollisionen von Theater und amerikanischer Popkultur, Genderfragen und Martial Arts

In der Augustschwüle Downtown-Manhattans findet nunmehr zum achten Mal das größte Theaterfestival Nordamerikas statt. Das New York International Fringe Festival ließe sich am treffendsten als eine gigantische Mischung aus Theatertreffen und Off-Theaterveranstaltungen wie das Berliner „reich&berühmt“ beschreiben. 200 Ensembles führen an 16 Tagen vor insgesamt mehr als 50.000 Zuschauern ihre neuesten Inszenierungen auf.

Oft ist Theater in New York eine angestaubte Kunstform: Während man sich nur wenig für die zumeist etwas banalen Musicalproduktionen des Broadways begeistern kann, muss man sich im gänzlich unsubventionierten amerikanischen Theateralltag vor allem mit gut gemeinten dramatischen Versuchen auf relativ schlecht ausgeleuchteten Bühnen zufrieden geben. Das Fringe Festival hält dagegen: Immer mehr junge Regisseure und Dramatiker scheinen diese Situation mit neuem Verve verändern zu wollen. Ohne große Mittel bringen sie ein temporeiches, intelligentes und innovatives Theater auf die Bühne, das in voller Geschwindigkeit mit der amerikanischen Popkultur kollidiert.

Neben einem zu erwartenden politischen Schwerpunkt mit Arbeiten zwischen Bush-Bashing und Terrorangst-Pathos ist so ein überraschender Trend zur Auseinandersetzung mit Hollywood, Pop und Teenage-Kult auszumachen. Viele Aufführungen adaptieren Fernseh- und Filmformate, dramatisieren lustvoll schlechte Adoleszenzliteratur, folgen Erzählgewohnheiten aus dem Blockbusterkino oder inszenieren ebenso komische wie irritierende Versionen von allgegenwärtigen Celebrity-Biografien.

Da gibt es die beiden libanesischen Talkshowhostessen, die in „Live! With Pascale&Chantal“ ihre ahnungslosen Gäste anscheinend naiv über Mode, Sex und Schönheitsoperationen ausfragen und dabei nonchalant die Tragiken des amerikanischen Kulturexports bloßlegen. Justin Timberlake und Britney Spears halten in „Terrible Infant“ als Erklärungsmuster für die Geschichte eines Kinderbühnenstars aus dem 19. Jahrhundert her. Während in den Produktionen „Martha and Me“ und „Nicky Goes Goth“ Hotelerbin und Reality-TV-Star Paris Hilton und die gerade wegen Börsenkriminalität verurteilte Martha Stewart – eine geschmackssichere Medienmillionärin, die mit Kochsendungen und Hausfrauenzeitschriften eine Art Imperium aufbauen konnte – in Szene gesetzt werden. Die Superreichen spielen hier um den Lottojackpot, um sich von möglichen Gedanken an afrikanische Kindersoldaten abzulenken.

Zu dieser Art von Pop-Theater gehören aber auch Aufführungen wie „Geek Love“ von der Gruppe Sensurround Stagings aus Atlanta. Auf wirklich bezaubernde Weise inszeniert das Ensemble um Aileen Loy die absurde Saga einer körperlich deformierten Zirkusfamilie, deren Mitglieder durch Experimente mit radioaktiven Substanzen gezeugt wurden. In großer Leinwandmanier wird dabei sichergestellt, dass kein Zuschauerauge trocken bleibt. Auch Performancestücke wie „The Life and Times of a Wonder Woman“ wenden sich populären Themen zu. Nahezu akademisch seziert hier die Britin Terra Henry die popkulturelle Ikone der Martial-Arts-kompetenten Superfrau, und versucht herauszufinden, ob die Comic- und Fernsehheldin mit dem amerikanischen Flaggenhöschen nun ein feministisches Rollenmodell oder doch eher eine heterosexuelle Männerfantasie ist.

Die Zuschauereffekte dieser Inszenierungen changieren zumeist zwischen der Lektüre eines J.T. Leroy-Romans, dem willigen Konsum türkischer Musikvideos und dem Kinoerlebnis eines Bollywoodfilms. Gerade dadurch geraten die verhandelten Phänomene der US-amerikanischen Film-, Fernseh- und Starkultur in eine willkommene Schräglage – eine nahe liegende Auseinandersetzung, wenn man bedenkt, dass die meisten dieser Theatermacher aus der ersten Generation stammen, die mit der uneingeschränkten kulturellen Vormachtstellung von Fernsehapparat und Kabelprogramm aufgewachsen ist.

Auch wenn es aus der theaterverwöhnten deutschen Perspektive manchen Arbeiten an einer gewissen Gravitas und mehr noch an einer adäquaten Ausstattung fehlt, kündigt sich hier ein erstaunlicher theatraler Verjüngungsprozess an. Dieser Trend ist dabei nicht zuletzt ein ästhetisches Zugeständnis an unsere von Video- und Werbeclips beeinflusste Wahrnehmungsgegenwart. Am überzeugendsten sind diese Theaterarbeiten dann, wenn man plötzlich bemerkt, dass es auch um die Länge der eigenen Aufmerksamkeitsspanne nicht zum Besten gestellt ist, und man froh ist, mal nicht für drei Stunden im Theater sitzen zu müssen. Oder wenn man anhand seiner Neugier darauf gestoßen wird, wie sehr uns die Starschicksale von Martha, Paris und Co. doch als Identitätsmodelle, Heldenersatz oder Begegnungssurrogate dienen können. DANIEL SCHREIBER