Das Exotische liegt in der Nachbarschaft

Filmemacher: Sie waren die Ersten, auf denen die Hoffnung jener lag, die Innovation und Aufbruch ersehnen. Junge Regisseure geben nun Antwort auf ihre Art: mit Filmen, die sich Details widmen und auf ideologische Konzepte verzichten. Notizen zur Verleihung des Nachwuchspreises „First Steps“

TEXT UND PROTOKOLLESUSANNE LANG

Sie sollen, so erwartet man es, wie man es von ihren Vorgängern erwartet hat, den deutschen Film retten. Der stecke in einer Krise, zumindest wurde er in eine Krisenhysterie hinein debattiert. Und wie mittlerweile in fast allen gesellschaftlichen Bereichen lastet die aktuelle Verantwortung auf der nachwachsenden Generation, auf allen, die auf jeden Fall unter 40 sind.

Und ein bisschen Aufbruch lässt sich ja durchaus beobachten, glaubt man dem deutschen Vorzeigeproduzenten und Regisseur Nico Hofmann („Der Tunnel“, „Der Sandmann“, „Wolfsburg“), der selbst an der Hochschule für Film und Fernsehen in München studiert hat und als Chef der Produktionsfirma teamWorxs zu den Initiatoren des Nachwuchsfilmpreises „First Steps“ (siehe Kasten) gehört. Die deutschen Regisseure würden als junge Kreative mit einem neuen Blick auf Deutschland beachtet, bemerkte er jüngst in einem Spiegel-Interview.

In einem Jahr werden wir für ihren Blick auf unsere Welt vielleicht tatsächlich im Kino eine Karte lösen. Vielleicht aber auch nur im Fernsehen zufällig auf ihre Weltbilder stoßen. Keiner weiß, ob ihr Blick neu ist. Ob er innovativ ist. Ob er den deutschen Film voranbringt. Aber in einem unterscheiden sie sich von jeder Kassandra: Sie lassen sich nicht von der Krise beeindrucken.

Was vier Beispiele – Filme und ihre Dialoge wie deren Regisseure – belegen.

„Katze im Sack“

Er: „Wollen wir morgen nicht frühstücken gehen? – Sie: Mann, ich steh auf ältere Männer, die liebenswert sind. – Er: Du meinst, ich sollte mein Glück bei den Mädels dort probieren? – Sie: Bei deinem Charme? Nur zu. – Er: Wir wetten, wenn ich heute nacht mit einem der Mädels abziehe, gehst du mit mir morgen frühstücken. Wenn ich es nicht schaffe, siehst du mich nie wieder. Haste Angst? Sie schlägt ein.Florian Schwarz (30): „Jetzig“, diese Zuschreibung haben wir öfter über unseren Film gehört. Das ist Quatsch. Wir wollten eine Geschichte erzählen, die uns alle berührt, deren Thema uns alle, die um die Dreißigjährigen, beschäftigt: Einsamkeit, Beziehung bzw. Beziehungs- und Verlustängste. Was definitiv nicht unser Ansatz war: ein cooler Film mit einem Statement über die Beziehungsunfähigkeit unserer Generation. Spannend sind doch die Themen hinter den sozialen Kontexten: Liebe, Tod, Einsamkeit. Dabei gehe ich nicht von einer Botschaft aus. Viel faszinierender finde ich, eine Haltung zu diesen immer wiederkehrenden Themen zu entwickeln.

Wenn man so will, entsteht aber über diese Geschichte eine politische oder soziale Botschaft. „Katze im Sack“ reiht sich, mit Abstand betrachtet, ein in eine Serie von neuen Filmen, „Detroit“ zum Beispiel, die alle um Figuren kreisen, denen es vordergründig gut geht, aber innerlich zerrissen sind. Die mit sich hadern, sich in Frage stellen. Vielleicht hängt dies auch mit der Übersättigung der Gesellschaft zu tun: Man hat eigentlich alles, existenziell gesehen, kommt aber trotzdem nicht klar. Die momentane wirtschaftliche Lage, soziale Ängste und gesellschaftliche Schicksale werden wahrscheinlich erst später im Film aufgegriffen werden. Persönlich als Filmemacher möchte ich mich in das aktuelle Gejammere gar nicht erst einreihen. Das ist für die eigene Arbeit wenig konstruktiv. Ich bin mir sicher, dass alle Geschichten, die wir wirklich erzählen wollen, irgendwo Gehör finden. Gerade im Fernsehen erreicht man ein immer größeres Publikum. Deshalb habe ich auch keine Berührungsängste zum Fernsehen. Im Gegenteil.“

„Janine F.“

„Es kommt auch öfter vor, dass hier Leute ausflippen oder sich aufregen über irgendwas, dann stehen die da total theatralisch, das gehört dazu, das ist das Schöne. Darum hat sich auch niemand was gedacht.“ – „Ich hab ihr dabei geholfen [Liquid Extasy herzustellen], weil sie das wollte. Ich habe ihr die Möglichkeiten gezeigt, dass und wie. Wenn sie die Möglichkeit wahrnimmt, nimmt sie sie wahr. Dann bin ich doch nicht der Böse, oder? Ich glaube nicht.“

Teresa Renn (27): „Die Wirklichkeit – das ist es, worauf ich Lust habe: Sie genau anzusehen und Geschichten aus ihr zu erzählen. Für meinen Abschlussfilm hatte ich anfangs nur eine wage Idee: ein Portät einer starken Frau. Dann stieß ich auf einen Zeitungsartikel über Janine, die sich in dem alternativen Berliner Künstlerhaus Tacheles im November 2002 aus dem Fenster stürzte. Erstmal war ich sehr neugierig, weil der Artikel sehr reißerisch aufgezogen war: Drogen, Sex, Schizophrenie. Wer aber war Janine wirklich? Das war mein Ansatz. Ich weiß es bis heute nicht und bin so gesehen selbst an der Frage gescheitert. Ich denke, das ist aber gerade das Spannende, die Suche nach der Identität. Mein eigentliches Thema des Films, Verantwortung, ergab sich erst während der Interviews mit Janines Freunden und Bekannten.

Durch diesen Film habe ich extrem Lust bekommen, mich weiter mit gesellschaftlichen Tabus auseinander zu setzen, die dunklen Seiten, die in der Menschheit versteckt sind, aufzuspüren. Das meine ich mit Lust an der Wirklichkeit: Bei Janine geht es um Leben und Tod, um echten Tod – über den aber keiner spricht. Tabu Selbstmord. Mein nächstes Projekt wird sich mit Gewalt beschäftigen, Macht und Hierarchien. Dass ich es realisieren kann, davor habe ich keine Angst. Ich glaube, wenn man will, geht es immer. Mein Vorteil als Dokumentarfilmerin ist ja, dass ich nicht viel Geld für einen Film benötige. Und es macht Mut, dass Dokumentarfilme wieder im Kino gezeigt werden und ihr Publikum finden.“

(Film läuft schon Fr., Sa., Mo., dokumentkino in Rungestraße, Berlin)

„Close“

Sie: Wie heißt’n du? – Er: Rate mal. – Sie: Was? - Er: Rate mal. – Sie: Steffen, Thomas. – Er: Weiter. – Sie: Tom. – Er: Mit Z. – Sie: Zorro. – Er: Stimmt, so heiß ich. – Sie: Echt? – Er: Ja, Zorro. – Sie: Tom. Ich glaub du heißt Tom. Er steht auf und geht.

Marcus Lenz (34): „Die Details machen den Alltag besonders – sie zu entdecken, das reizt und interessiert mich. Heute liegt das Exotische in der unmittelbaren Nachbarschaft. Weil sie keiner mehr thematisiert, weder das Kino noch das Fernsehen. Das ganz Nahe wurde einfach vergessen. Dabei werden die sozialen Konflikte im Nahumfeld immer härter – wenn auch nur für einige. Für einen Film habe ich mal die Rolle eines Jungen authentisch aus einem Asylbewerberheim besetzt. Das Drehbuch war schon fertig geschrieben, als ich plötzlich merkte, dass alles, was er dort wirklich erlebte, viel härter, viel spannender war als jede Spielfilmdarstellung es sein könnte.

Bestimmte Filmemacher haben genau diesen Blick auf Alltagsdetails wiederentdeckt, die dänischen Dogmafilmer um Lars von Trier zum Beispiel, und das steckt an. In Cannes traf ich mal dänische Filmstudenten, die waren superenergiegeladen – ich glaube, so etwas kann auch in Deutschland entstehen. Mut von unserer Seite ist ja da.

Kompromisse zu machen für einen vermeintlichen Geschmack des Publikums, halte ich für falsch. Neulich erst meinte ein Fernsehredakteur, dass das Publikum des Senders einfacher gestrickt sei als mein Film. Ich dachte nur: Was ist das für eine Arroganz! Ich glaube fest daran: Wenn man gute Stoffe hat, kann man sie auch verkaufen. Die Abhängigkeit von Fernsehen und Filmemachern ist ja beidseitig. Auch wenn man sich über die Sendeplätze schon wundern muss. Um 0 Uhr 15 schaut ja keiner mehr, da ist der Durchschnittsdeutsche längst im Bett.“

„Happy Family“

„Als ich elf war, nahm mein Vater mich und meinen Bruder mit nach Amerika. Meine Mutter blieb in Korea mit den anderen Geschwistern. Heute lebe ich in Berlin, und seit einem Jahr habe ich meine eigene Familie. Alles ist in Ordnung. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Ich habe eine große Wohnung, einen jüngeren Mann und einen Hund, der mir gehorcht. Und trotzdem frage ich mich, ob ich je wieder so glücklich sein kann wie damals, als ich ein Kind war und zu jemandem gehörte.“

Heesook Sohn (35): „Viele Leute sind heute sehr stark mit sich selbst beschäftigt: ihren eigenen Gefühlen oder ihrer Familie. Aber es ist eben nur „Beschäftigung“. Man macht Therapien, man redet, man sieht die Familie ein-, zweimal im Jahr, man heiratet. Aber die wenigsten Menschen fassen wirklich ihr Umfeld, ihre Identität. Ich wollte bei meinem Film für mich nichts definieren, sondern greifbar machen: meine Familie.

Dokumentarfilme erleben auch deshalb einen Aufschwung, weil sie andere Geschichten und Figuren anbieten, mit denen sich die Zuschauer identifizieren können. Die ihnen näher stehen. Sie haben ja alles, und Hollywood bietet immer mehr, noch einen Star, noch ein Marketing-Scoop, noch eine Überdrehung weiter. Dabei vergessen die meisten, wie sie sich selbst heute, in dieser Zeit fühlen.

Deshalb hoffe ich, dass die Doku- und Spielfilmreihen im Fernsehen etwas mutiger werden. Viele jammern ja nur: Das Fernsehprogramm wird immer schlimmer, deutsches Kino ist scheiße. Vielleicht bin ich zu naiv, aber das interessiert mich nicht. Noch nicht. Wer nur jammert, wird zynisch. Oft hört man dies auch von ausländischen Filmemachern, die hier leben. Ach, die Deutschen haben keine Ahnung vom Filmemachen. Da sage ich immer: Dann hau ab. Deutsche Filme sind anders, aber nicht schlechter. Weil das Land, die Gesellschaft, die Geschichte anders ist. Nach meinem Empfinden sind deutsche Filme sehr reflektiert, verarbeiten Emotionen im Kopf, nicht im Bauch. Deutsche lächeln und weinen gleichzeitig, aber diskutieren auf jeden Fall zuerst. Das finde ich schön. Wenn man nur negativ ans Filmen heran geht, verliert man die Leichtigkeit.“