: Hannover will Entschleunigung
SPD und Grüne einigen sich auf die Einführung einer flächendeckenden Tempo-30-Zone in der Innenstadt der niedersächsischen Landeshauptstadt. Das Projekt ist hoch umstritten und hat zudem auch noch juristische Tücken
VON KAI SCHÖNEBERG
Ausgerechnet in Buxtehude fing alles an: 1983 wurde hier erstmals eine komplette Innenstadt „verkehrsberuhigt“: Straßen wurden mit Hilfe von Blumenkübeln eingeengt, die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde begrenzt. Aus der ersten Tempo 30-Zone ist eine Bewegung geworden: Viele Städte haben vor allem ihre Wohngebiete auf die Bedürfnisse von Passanten zugeschnitten, entschleunigt und Autos verdrängt. Ergebnisse: Mehr Sicherheit, weniger Lärm, weniger Feinstaub, mehr Lebensqualität.
Nun will auch die rot-grüne Ratsmehrheit in Hannover die Innenstadt zur Tempo 30-Zone erklären, um die „Aufenthaltsqualität in der Einkaufsstadt und die Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer“ zu verbessern – so will es der Bauausschuss. Der Stadtrat könnte den Plan im März beschließen, schon im Herbst könnte Hannovers City flächendeckend Langsamfahrgebiet sein. Das hätte Signalwirkung für Deutschland: Bislang sind selbst in der Fahrradstadt Münster „nur“ Wohngebiete 30er-Zonen.
„Dann ist Ruhe im Karton“, sagt der grüne Verkehrsexperte im Rat, Michael Dette. Dass die CDU beantragt hatte, eine Straße am Platz der Weltausstellung als 30er-Zone auszuweisen und der Bezirksrat Mitte gleichzeitig die Edel-Meile Luisenstraße zum Tempo-20-Gebiet umstellen will, hätte einen Regelungs-Flickenteppich geschaffen, sagt Dette. Ein Innenstadtring mit Höchstgeschwindigkeit 30 schaffe dagegen Klarheit. „Wenn die Kritiker nörgeln: ‚Dann wandelt die City doch gleich in eine Fußgängerzone um‘, sage ich, ja genau, das machen wir“, ärgert sich Dette. Für eine „einheitliche Lösung für die gesamte Innenstadt“, ist auch SPD-Fraktionsvize Thomas Hermann.
Das Projekt ist hoch umstritten: Der Autofahrerclub ADAC wettert gegen die Lösung, die Fahrradfahrer vom ADFC sind seit Jahren dafür. „Vollbremsung für die City“ titelt die Bild, von „Regulierungswut“ schäumt die oppositionelle Stadt-FDP, die CDU will Tempo 30 nur an Gefahrenstellen. Im Online-Forum der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung kochte gestern die Volksseele: User ätzten über „Zwangsbeglücker“ und „Traumtänzer“. „Tempo 30 braucht wohl nur der pseudoangenervte Gutmensch mit Neidfaktor“, schimpft ein Anonymus.
„Die Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 ist keine willkürliche Maßregelung von Autofahrern, sondern eine vernünftige und sinnvolle Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit“, sagt Maria Limbourg, Verkehrspädagogin an der Universität Essen. In Tempo 30-Zonen passierten etwa 40 Prozent weniger Unfälle als in vergleichbaren Tempo 50-Bereichen, Verletzungen seien weniger folgenreich, da sich Bremswege stark verkürzten. Die Fahrzeiten in den Langsamfahrzonen verlängerten sich hingegen kaum, betont Limbourg, da innerorts ohnehin selten schneller als 30 gefahren werden könne.
Juristisch ist der Plan offenbar jedoch nicht so leicht durchzusetzen. „Wir sehen Probleme darin, die Straßenverkehrsordnung um die Bedürfnisse der Stadt Hannover herum zu biegen“, sagt Christian Budde, Sprecher im Verkehrsministerium. Die Straßenverkehrsordnung, ein bundesweit gültiges Gesetz, fordere für derartige Eingriffe in den Verkehr besondere Gegebenheiten: Gefahrenstellen müssten die Entschleunigung „zwingend geboten“ erscheinen lassen, heißt es in Paragraph 45. Tempo 30-Zonen an Straßen mit Ampelkreuzungen sind nicht erlaubt: Nach den bisherigen Planungen in Hannover sollen jedoch auch vierspurige Straßen mit Lichtzeichen, auf denen Stadtbahnen fahren, gedrosselt werden.
Diese Tücken sieht auch der Deutsche Städtetag. Nur wenn mehrere Städte auf die Einführung flächendeckender Zonen drängten, sagt ein Sprecher, werde man das Thema beim Bundesgesetzgeber aufs Tablett bringen.